Arbeitswelt & Karriere

Gemeinsam ans Ziel: „Quiet Quitting“ trifft Rezession

Warum gerade jetzt miteinander reden angesagt ist: Katharina Hain erklärt, warum Quiet Quitting auch aus Mitarbeitendenperspektive problematisch ist und wie man den eigenen Quiet Quitting-Prozess erkennen und stoppen kann.

„Setting the scene“ – drei wichtige Aspekte für diese Betrachtung

Was bedeutet „Quiet Quitting“ überhaupt?

Etwa die Hälfte der Arbeitnehmenden in den USA sind „Quiet Quitter“ und auch hierzulande nimmt die Zahl stetig zu. Dabei heißt das keinesfalls, dass ein Großteil der Arbeitnehmenden bereits ein Kündigungsschreiben vorbereitet. Vielmehr geht es bei der – zugegeben unglücklich übersetzten – stillen bzw. inneren Kündigung darum, dass sich Arbeitnehmende entscheiden, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen oder der Entgrenzung der Arbeit entgegenzuwirken. Andere Stimmen sagen sogar, dass Quiet Quitter schon aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle sind. Weiterhin scheint sich der Trend vor allem bei jüngeren Arbeitnehmenden fortzusetzen.

Für mich liegen zwischen der Intention, nur noch das Nötigste zu tun, und der Absicht, vertretbare Grenzen zu setzen, sehr große Unterschiede. Gleichzeitig ist beides in Zeiten des Fachkräftemangels eine gefährliche Entwicklung, die sich auch negativ, vor allem in der Rezession auswirken kann.

Rezession, Entlassungswellen und Multikrisen

Wenn Sie aktuell die Medien verfolgen, kommen Sie nicht umhin, von drohender Rezession und Entlassungswellen zu lesen bzw. zu hören. Und auch wenn die Nachfrage nach Fachkräften weiterhin auf einem sehr hohen Niveau ist, machen sich in einzelnen Branchen und Rollen Rückgänge bemerkbar. Sicher sind einiges nur Tendenzen, doch im Zeitalter der Multikrisen, wie Lieferengpässe, Energiekrise, steigenden Inflationsraten in ganz Europa und schrumpfender Wirtschaftsleistung, gibt es aktuell wenig Anzeichen für eine schnelle Erholung.

 

Der Arbeitskräftemangel

Zum Teil liegt die rückläufige Konjunktur sicher auch im Fach- bzw. Arbeitskräfteengpass begründet. Aus den unterschiedlichsten Gründen, wie z. B. Demografie und mangelnde Zuwanderung sinkt das Erwerbspersonenpotenzial. Das BMAS prognostiziert mittelfristig bis 2026 einen Mangel an fast einer viertel Million Erwerbspersonen. Und schlimmer noch: die Arbeitskräfte, die auf dem Markt sind, passen nicht immer zu den offenen Stellen. Denn wenn wir einzelne Berufsgruppen betrachten, besteht bei zwei Dritteln ein größerer Neubedarf als es Fachkräfte gibt – und lediglich bei 4 Prozent der Berufsgruppen wird es in den nächsten vier Jahren einen Überschuss an Arbeitskräften geben.

Steigende Arbeitsbelastung – Tatsache oder Ausrede?

Seit der Pandemie haben sich die geleisteten Arbeitsstunden über alle Branchen und Positionen hinweg hierzulande im Schnitt verringert – von 40,6 Wochenstunden in 2019 zu 39,5 Wochenstunden im Jahr 2021. Gleichzeitig fühlen sich Mitarbeitende mehr ausgebrannt, mehr gefordert und entgrenzt und fordern kürzere Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle und mehr Freizeit.

Das Problem liegt also nicht allein an der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit, sondern wie gefordert Mitarbeitende bei der Arbeit sind, wie sie sich dabei fühlen und was als Arbeitszeit gesehen wird. Denn die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben verschwimmen, vor allem durch Homeoffice und Projektarbeit mehr und mehr, sodass kein Erholungseffekt auftreten kann. Nach dem Abendessen noch schnell Mails beantworten, den nächsten Jour fixe in die Mittagspause legen oder – auf der anderen Seite – die Mitarbeiterin in aller Frühe wegen des bevorstehenden Meetings anrufen, dem Mitarbeiter am Wochenende via Teams die Präsentation zum Gegenchecken schicken. So wird aus Freizeit schnell Arbeitszeit und der nötige Abstand schwindet. Dagegen sollten sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende etwas tun. Weiterhin nehmen auch äußere Faktoren wie die aktuelle politische und wirtschaftliche Gesamtsituation und die damit einhergehende wahrgenommene Unsicherheit Einfluss auf das Stressempfinden.

Exkurs: Maßnahmen auf Arbeitgeberseite

Als Pauschal-Antwort auf Quiet Quitting einfach höhere Gehälter auszuzahlen, wenn in der aktuellen Phase überhaupt möglich, oder eine Initiative ins Leben zu rufen, die von heute auf morgen mehr Wertschätzung bringen soll, halte ich für kritisch. Denn gerade Letzteres macht sich nicht dadurch bemerkbar, dass Führungsebenen einmal im Quartal eine „Dankes-E-Mail“ an den Unternehmensverteiler senden, sondern muss in der Unternehmenskultur verankert werden. Außerdem haben die Mitarbeitenden aktuell vielleicht sogar weniger Bedarf an einem Dankeschön, sondern benötigen unter Umständen eher die Sicherheit, Sorgen und Herausforderungen ansprechen zu können und als Individuum willkommen zu sein.

Wichtiger denn je ist es für Arbeitgeber also, hinzuhören, was die Mitarbeitenden beschäftigt und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Arbeitnehmende sicher fühlen.  

Das erhöht die Mitarbeitenden-Bindung und – gepaart mit einer motivierenden Führung – auch das Employee Engagement. So können Unternehmen einer Überforderung durchaus entgegenwirken und durch den Diskurs vor allem auch Warnzeichen frühzeitig erkennen.

Was können Mitarbeitende tun?

Wie oben bereits angemerkt, geht es vielen Mitarbeitenden beim stillen Kündigen darum, Grenzen zu setzen und einer Überarbeitung entgegenzuwirken. Ich halte es für enorm wichtig, im Job auch „Nein“ sagen zu können und nach der altbekannten Extrameile nicht noch einen Marathon anzuhängen. Doch nur das Nötigste laut Vertrag zu machen, darf (und kann!) auch nicht die Lösung sein. Vor allem nicht im stillen Protest. Denn durch den Fachkräftemangel und die anstehende Rezession können fehlende Kapazitäten nicht immer einfach durch Neueinstellungen oder flexible Arbeitskräfte abgefangen werden. Der eigene Dienst nach Vorschrift wird so sehr schnell zur Belastung und führt folglich irgendwann auch zur Überlastung der Kolleginnen und Kollegen.

Und er kann dem Unternehmen sogar wirtschaftlichen Schaden zufügen. Arbeitskräfte bringen sich in Zeiten von drohenden Kündigungswellen so vielleicht auch in Gefahr, zu denjenigen zu gehören, die das Unternehmen dann aus wirtschaftlichen Gründen verlassen müssen. Oder sie bringen sich selbst um die Chance, sich beruflich weiterzuentwickeln. Denn klar ist, dass bei harten unternehmerischen Entscheidungen die Leistung und Effizienz eine Rolle spielt.

Weiterhin folgen nach dem Abschwung und dem Tief im Konjunkturzyklus bekanntlich Aufschwung und Hochkonjunktur. Eine große Bremse ist hier der Fachkräftemangel und sinkende Produktivität.

Will heißen, dass es gerade jetzt unabdingbar ist, an einem Strang zu ziehen. Definitiv nicht auf Kosten der eigenen Gesundheit oder des eigenen Wohlbefindens. Und sicher auch nicht ausgetragen auf den Schultern einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Gleichzeitig erwarte ich durchaus, dass Mitarbeitende, sofern sie die oben erwähnte psychologische Sicherheit vorfinden, ihre Stimme erheben und in den Dialog gehen. Weg vom stillen Protest, hin zum gemeinsamen Gestalten der zukünftigen Zusammenarbeit.

Das kann im Kleinen anfangen: Lernen respektvoll „nein“ zu sagen, lösungsorientiert zu denken und sich kritisch zu hinterfragen, ob man gerade vom Unternehmen mehr verlangt als man selbst bereit ist zu geben. Eigene Grenzen zu setzen und die Grenzen anderer zu respektieren.

In weiteren Schritten lohnt es sich sicher, mit Führungskräften, dem Betriebsrat oder weiteren internen Anlaufstellen zu sprechen und die eigene Belastung zu kommunizieren. Um dann gemeinsam über Maßnahmen nachzudenken, wie Mitarbeitende und Unternehmen in der aktuell mehr als herausfordernden Zeit eine Basis für ein effizientes und erfülltes Miteinander schaffen können. Vielleicht sogar angepasst an einzelne Zielgruppen im Unternehmen selbst.

Und jetzt?

Fühlen Sie sich aktuell im Job ausgebrannt und überlastet? Ich ermutige Sie, in sich zu gehen und sich die Frage zu stellen, ob Sie innerlich schon resigniert haben und sich im Quiet-Quitting-Modus befinden. Falls ja: Haben Sie bisher tatsächlich Anstrengungen unternommen, Ihre Bedenken und die Überlastung zu kommunizieren? Oder haben Sie schon aufgegeben, bevor Sie überhaupt versucht haben, im Dialog eine Lösung zu erarbeiten?

Überlegen Sie auch, welche Rahmenbedingungen sich ändern müssten, sodass Sie sich im Job wohlfühlen würden. Bleiben Sie dabei realistisch, was möglich ist und vor allem was Sie auch von Arbeitgebern erwarten können.

Und vor allem empfehle ich, dass Sie sich darüber klar werden, welchen Einfluss Sie selbst nehmen können, um sinnvolle Grenzen zu setzen.

Behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass es hierbei um einen Prozess geht und sich Ihre Situation wahrscheinlich nicht von jetzt auf gleich radikal ändern wird.  Beobachten Sie sich und Ihr Arbeitsumfeld daher ganz genau: Haben Sie das Gefühl, dass sich etwas ändert? Können Sie Schritte in die richtige Richtung wahrnehmen? Oder ist es wirklich an der Zeit, aktiv zu werden und nach einem neuen Arbeitgeber zu suchen. Dann rate ich Ihnen genau das zu tun und einen gut vorbereiteten, überlegten Jobwechsel in Angriff zu nehmen.

 

Sie sind sich unsicher und möchten Ihre nächsten Schritte und Optionen mit jemandem besprechen oder haben Fragen zu anderen Themen rund um Beruf und Karriere? Dann melden Sie sich gerne direkt bei unserem kostenfreien Karriereservice.

von Katharina Hain

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