Wann Karriere-Coaching sinnvoll ist – und wann sinnlos

Zunehmend mehr Unternehmen, inzwischen sogar vermehrt aus dem Mittelstand, setzen Coaches zur Förderung der Karriere ihrer Führungskräfte und Potenzialträger ein – in Konzernen ist Coaching bereits seit Jahrzehnten bewährtes Mittel der Personalentwicklung.
Populärste Form der Führungskräfteentwicklung
Auch dank Vollbeschäftigung, Fach- und Führungskräftemangel hat sich Coaching zu einem zentralen Element in der Personalarbeit gemausert. Mit rund 550 Millionen Euro Marktvolumen, laut jüngster Marburger Coaching-Studie, ist es einerseits die populärste Form der Führungskräfteentwicklung und leistet andererseits einen deutlichen Beitrag zur Arbeitgeberattraktivität.
Letzteres haben mittlerweile auch Unternehmen im Gesundheits- und Sozialwesen erkannt, die diesbezüglich traditionell eher zurückhaltend waren. Inzwischen arbeiten auch sie mit gezielten Coaching-Maßnahmen im Rahmen des Employer Brandings.

Diese Tendenz lässt sich auch im Hays-HR-Report 2020 nachvollziehen – gleichzeitig leider jedoch auch ein Wermutstropfen, der geeignet ist, die positiven Ansätzen der Personalarbeit und des Employer Brandings um ihre volle Wirkung zu bringen: Denn einerseits liegt der Hauptfokus der Unternehmen bei den HR-Trends nach wie vor auf Mitarbeiterbindung, zu deren Top Ten der Maßnahmen und Instrumente mit 21 Prozent die Personalentwicklung gehört.
Die Studie zeigt jedoch auch, dass den Mitarbeitern meist kein eigenes Budget für ihre Weiterbildung zur Verfügung steht. Die finanzielle Hoheit dafür liegt zu 60 Prozent bei der Geschäftsleitung (35 Prozent) und Führungskräften (25 Prozent), die viele Mitarbeiter – oft aus guten Gründen – nicht in ihre Coaching-Themen einbezogen haben wollen.
Private Coaching-Aufträge nehmen zu
So nimmt auch bei privat gebuchtem Coaching die Nachfrage spürbar zu: Oft genug nehmen das Menschen für berufsbezogene Themen in Anspruch, für die sie keine Unterstützung durch den Arbeitgeber erhoffen, erhalten – oder wünschen. Erfahrungsgemäß bringen sie dabei ganz unterschiedliche Aspekte unserer VUCA-Welt zum Coach. Aktuell spielt etwa die zunehmende Verunsicherung durch Corona eine Rolle, die übrigens auch zu einer sprunghaften Zunahme linearer Online-Coachings führt.
Ebenfalls vor dem Hintergrund der Coronakrise vermuten einige Fachleute noch weitergehende Effekte auf den Coaching-Bedarf: Sie postulieren, dass Menschen in breiteren Schichten mehr und mehr erkennen, dass sie vor Herausforderungen stehen, die sie allein nicht lösen können. Vor diesem Hintergrund vermuten sie, dass Coaching seinen Nimbus als Luxusgut ablegt und nicht mehr so stark wie früher auf Eliten fokussiert bleibt. Vielleicht ein Wunschdenken. Falls es das ist: ein wünschenswertes.
Denn, das schreibe ich sowohl als erfahrener Coach als auch als erfahrener Klient, mit fast 20 Jahren aktiven und passiven Coaching-, Supervisions- und Intervisionserfahrungen, und ebenso als erfahrener Manager auf verantwortlichen Positionen der Unternehmenskommunikation: Coaching ist in vielen Situationen enorm sinnvoll und hilfreich. Zumindest, solange ein paar Grundvoraussetzungen berücksichtigt sind.
Professioneller und erfahrener Blick von außen
Bei beruflichen Themen bringt, meiner Erfahrung nach, ein unabhängiger – geschulter – Blick von außen in allen Karrierephasen und auf allen Ebenen Vorteile. Sind es auf den juniorigen Stationen vielleicht noch eher alltägliche Fragestellungen und kurzfristige Karriere-Überlegungen, geht es beim Senior- und beim Top-Management häufiger – aber keinesfalls immer! – um strategischere Themen.
Für Führungskräfte ist eine der wichtigsten Funktionen des Coaches auch die des neutralen Feedbackgebers, da sie zu oft nur politisch motivierten Rückmeldungen bekommen. Besonders nützlich ist es hier, wenn der Coach selbst Führungserfahrung gesammelt hat.
Auch zeichnen sich systemisch-konstruktivistische Coaches unter anderem durch ihre Lösungsorientierung aus. Im Coaching-Prozess, und davon inspiriert, nutzen vor allem Führungskräfte diese Herangehensweise, um mit stets zunehmendem Druck besser umgehen zu können.
Gleichzeitig begleiten gut ausgebildete, erfahrene Coaches ihre Klientinnen und Klienten durch verschiedene Frage- und Erkenntnistechniken wirksam auch bei der Selbstreflexion. Nach wie vor ist sie die beste Basis für nachhaltige Entwicklungen.

Coaching? Sinnlos
Jedoch, es gibt auch Situationen, in denen Coaching sinnlos ist. Oder sogar schädlich. So lehne ich regelmäßig Aufträge ab, bei denen Klienten nach andauernder, kurzfristiger Selbstoptimierung streben, um sich durch maximale Selbstaufgabe an offensichtlich toxische Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz anzupassen.
Ebenso muss, auf der einen Seite, den Klienten stets klar gesagt sein, dass Coaching keine Therapie ist und eine solche auch nicht ersetzen kann, und muss, auf der anderen Seite, der Coach seine Grenzen kennen und respektieren.
Auch Coaching-Aufträge, bei denen der Auftraggeber eigentlich keine Veränderung möchte, können im ersten Anlauf kaum sinnvoll erfüllt werden. Oder wenn er oder sie sich wünscht, dass sich ausschließlich des Gegenübers verändert – aber selbst eigene andere Verhaltensmöglichkeiten ablehnt. Ähnlich und direkt damit verwandt sind Aufträge, bei denen die Methode vorgeschrieben oder sogar die gewünschte Lösung schon fest vorgegeben ist.
Das widerspricht meines Erachtens der Offenheit und Flexibilität, die den lösungsorientierten Ansatz zunächst einmal erst möglich und dann so wirkungsvoll macht, der einen professionellen Coaching-Prozess auszeichnet.
Win-win-win-Situation möglich
In der Praxis überwiegen jedoch bei Weitem solche Voraussetzungen, unter denen Coaching seine positiven Wirkungen entfalten kann. Zu diesem Ergebnis kommt übrigens auch eine wissenschaftliche Metaanalyse der Universität Amsterdam. Und sogar in den soeben geschilderten, eher problematischen Fällen kann ein Coach einen Unterschied machen – je erfahrener und besser ausgebildet, desto eher.
Und so könnte sich, meiner Überzeugung nach, eine Win-win-win-Situation zwischen Unternehmen, Mitarbeitern und Coaches einpendeln, sobald es auf der Seite der Organisation praktischere Lösungen gäbe, die es den Mitarbeitern erlaubten, Coaching für ihre berufsbezogenen Anliegen in Anspruch zu nehmen – ohne Einbeziehung von Geschäftsführung oder gar Vorgesetzten.