Unternehmen & Märkte

Einfach besser?

Foto: Noel Hendrickson/getty images
Marken vereinfachen Entscheidungen und erleichtern so die Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt. Markenunternehmen, die es ihren Kunden ganz besonders einfach machen, sind auch wirtschaftlich oft besonders erfolgreich.

Die Marken Aldi und Google scheinen auf den ersten Blick kaum etwas gemeinsam zu haben: auf der einen Seite der etablierte deutsche Discounter, der seit Jahrzehnten auf ein überschaubares Sortiment aus preiswerten Eigenmarken setzt und den Technologieeinsatz in den schlichten Filialen auf ein Minimum begrenzt. Auf der anderen Seite der junge kalifornische Technologiekonzern, der von der leistungsfähigen Online-Suche über Virtual-Reality-Brillen bis zum selbstfahrenden Auto bei digitalen Innovationen stets vorne dabei ist.

Was beide Unternehmen verbindet, ist das konsequente Bestreben, es ihren Kunden möglichst einfach zu machen. Und das offenbar mit Erfolg: Im jährlich erhobenen Global Brand Simplicity Index der internationalen Markenberatung Siegel+Gale belegen Aldi und Google weltweit Spitzenplätze. Seit 2009 befragen die Berater jährlich viele Tausend Kunden zu mehr als 850 Marken und haben dabei Einfachheit rund um den Globus als ultimativen Treiber für Markentreue identifiziert. „Aldi liegt 2017 zum vierten Mal in Folge auf Rang 1 und macht somit ganz klar etwas richtig“, sagt Howard Belk, Co-CEO und Chief Creative Officer bei Siegel+Gale. Neben dem einfachen und stets gleichbleibenden Ladenaufbau und einem verlässlichen Preis-Leistungs-Verhältnis biete Aldi seinen Kunden vor allem ein stressfreies, einfaches Einkaufserlebnis. Weil der Discounter überwiegend Eigenmarken führe, müssten die Kunden dort nicht aus einer überwältigenden Vielzahl von Marken und Preisen wählen, so Belk. Auch die Suchmaschine Google sei mit ihrer schlichten „No-Nonsense-Homepage“ ein Synonym für Einfachheit: intuitiv, einfach zu verstehen und mit perfekter Funktionalität.

Einfache Entscheidungen bevorzugt

Aus Kundensicht lässt sich einfach also übersetzen in Eigenschaften wie transparent, leicht nachzuvollziehen und vor allem zeitsparend. Zeit sei heute knapp und kostbar, entsprechend hoch schätzten viele Menschen klare, verlässliche Marken, die ihnen durch einfache und verständliche Services, Preise und Produkte wertvolle Zeit sparen, so die Erklärung von Siegel+Gale. Marken, die das Leben leichter machen, würden weiterempfohlen oder könnten sogar Preisaufschläge durchsetzen, so ein zentrales Ergebnis des Simplicity Index. Neben Aldi und Google gehören dazu beispielsweise auch Lidl, Amazon, Ikea oder McDonalds.

Ähnliches gilt für klassische Produktmarken wie Apple, Coca-Cola, BMW, Mercedes, Lego oder L’Oréal, die in vielen ein­schlägigen Rankings dominieren: „Starke Marken sind Orientierungshelfer und entlasten unser Gehirn bei Entscheidungen“, sagt Markenpsychologe Professor Gert Gutjahr vom IFM MANNHEIM. Das älteste deutsche Forschungsinstitut für psychologische Marktforschung berät Unternehmen aus allen Branchen zu Themen wie Markenführung, Markencontrolling, Corporate Identity oder Employer Branding. „Auch im Wettbewerb um Fachkräfte oder für die Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen bringt eine starke Marke oft Vorteile“, weiß Gutjahr (siehe auch Interview).

Das lässt sich sogar in harter Währung nachweisen: Die Aktienkurse der Tabellenführer in Marken-Rankings wie den Best Global Brands (Interbrand) oder dem Brand Simplicity Index entwickeln sich in der Regel deutlich besser als der Markt. Umgekehrt verschenkten Unternehmen, die ihre Customer Experience nicht weiter vereinfachen, oft enormes Wachstumspotenzial, warnt Siegel+Gale-Kreativchef Howard Belk. Der Return on Investment sei so hoch, dass man ihn eigentlich nicht ignorieren dürfe, findet er.

Einfach ist nicht immer einfach

Der Haken an der Sache: Klar und einfach ist für viele Unternehmen gar nicht so einfach umzusetzen. Insbesondere Marken, die für komplexe Dienstleistungen stehen, schneiden in Marken-Rankings oder Kundenzufriedenheitsstudien oft kollektiv schlecht ab. Dazu zählen zum Beispiel Versicherungen, Krankenkassen, Kreditinstitute, Autovermieter, Flug- oder Telekommunikationsgesellschaften, die ihre Kunden zum Teil mit komplizierten Tarifen, unvermuteten Preisaufschlägen oder Leistungsbegrenzungen, starren Kündigungsfristen, unzureichenden Kontaktmöglichkeiten oder seitenweise Kleingedrucktem frustrieren.

Umgekehrt ergeben sich gerade hier große Chancen, mit innovativen Ideen unbefriedigte Kundenbedürfnisse zu erfüllen und auf diesem Wege Marktanteile zu erobern. Markenberater Howard Belk empfiehlt, dazu weniger das Produkt, sondern vielmehr den Kunden und seine Erlebnisse in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu rücken: Ist die Customer Journey über alle Stationen klar, transparent, nahtlos, schnell und einfach? Oft seien entsprechende Innovationen rund um das Einkaufserlebnis wesentlich wirkungsvoller als ein neues Produkt-Feature. Als positives Beispiel führt Belk das junge US-Unternehmen Dollar Shave Club an, das simple, handelsübliche Rasierklingen erstmals im preiswerten Abonnement bietet: versandkostenfrei, jederzeit kündbar und mit voller Geld-zurück-Garantie für unzufriedene Kunden. Unilever hat das 2012 in Kalifornien gegründete Unternehmen (mit rund 3,2 Millionen Kunden und einem geschätzten Umsatz von rund 200 Millionen Dollar) Mitte 2016 übernommen – für einen mutmaßlichen Kaufpreis von einer Milliarde Dollar. Manchmal brauche es für sinnvolle Vereinfachungen einen Outsider mit einem frischen, unvoreingenommenen Blick auf Produkte, Prozesse und Systeme, der sagt: „Hey, das muss nicht so sein“, so das Fazit von Markenberater Belk.

B2B-Marken besser pflegen

Genau wie die meisten Konsumenten mögen es auch B2B-Kunden gerne einfach. Doch komplexe Dienstleistungen und techniklastige, schwer zu verstehende Produkte sind kennzeichnend für den B2B-Bereich. Gerade deshalb komme vertrauenswürdigen Marken ein hoher Stellenwert bei Einkaufsentscheidungen zu, sagt Carsten Baumgarth, Professor für Marketing und Markenführung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und Inhaber der auf B2B-Marken spezialisierten Unternehmensberatung Baumgarth & Baumgarth Brandconsulting. „B2B-Kunden bestellen oft Leistungen, die es noch gar nicht gibt, beispielsweise eine individuell gefertigte Spezialmaschine, eine neue Unternehmenssoftware oder einen komplexen Beratungsauftrag“, so der Marketingexperte. Einkaufsentscheidungen seien deshalb mit einem hohen Risiko verbunden: „Um den Entscheidungsprozess zu vereinfachen, muss eine B2B-Marke vor allem Vertrauen aufbauen“, erklärt Baumgarth. Dabei gehe es weniger darum, einfache Lösungen zu versprechen. Vielmehr müssten B2B-Marken glaubwürdig vermitteln, dass die Kunden sich voll auf ihre Kompetenz und Leistungsstärke verlassen können.

In der praktischen Umsetzung sieht der Wissenschaftler und Berater bei vielen Unternehmen allerdings noch Verbesserungspotenzial. Oft beschränke sich die Markenpflege auf zeitlich befristete Projekte in der Marketing- oder Kommunikationsabteilung, die mal eben einen neuen Slogan oder ein moderneres Logo entwickeln sollen. Zu kurz gedacht, mahnt Baumgarth. B2B-Markenpflege sei vielmehr eine unternehmensübergreifende Daueraufgabe bis hinauf ins Topmanagement: „Gerade im B2B-Bereich ist es wichtig, sich zu fokussieren und im Zweifelsfall auch mal einen Auftrag abzulehnen, wenn er nicht zur Marke passt“, so der Berater. Eine Entscheidung, die nicht allein die Marketingabteilung treffen kann. Anders als im Geschäft mit privaten Konsumenten seien zudem die eigenen Mitarbeiter die wichtigsten Markenbotschafter. „Der Kern der Marke muss von allen Mitarbeitern verstanden und gelebt werden“, sagt der Berliner Professor. Das bedeutet: B2B-Markenpflege ist immer auch eine Aufgabe der Personalabteilung.

Erfolgreiche Marken erzählen eine gute Geschichte

Prof. Dr. Gert Gutjahr, Inhaber und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Markenpsychologie - IFM MANNHEIM
Prof. Dr. Gert Gutjahr, Inhaber und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Markenpsychologie - IFM MANNHEIM Foto: Gert Gutjahr

Prof. Dr. Gert Gutjahr studierte Psychologie und Marketing und ist ausgebildeter Psychoanalytiker. Als Inhaber und wissenschaftlicher Leiter des IFM MANNHEIM betreut er Forschungsprojekte und beschäftigt sich besonders mit Markenpsychologie und Consumer Neuroscience. Im Interview erklärt er, warum Unternehmen starke Marken brauchen und wie man für seine Kunden zur First Choice Brand wird.

Herr Professor Gutjahr, auf dem deutschen Markt werden Produkte und Dienstleistungen von rund 50.000 verschiedenen Marken angeboten. Sind angesichts dieser Vielzahl Marken tatsächlich eine Orientierungshilfe?

Ja, allerdings gilt das nur für starke Marken. Studien bestätigen, dass von der Vielzahl der angebotenen Marken nur wenige Hundert eine dauerhafte Kundenbindung garantieren. Pro Warengruppe kann sich für jeden von uns im Kopf nur eine Marke als First Choice Brand etablieren, die in der Lage ist, Kaufentscheidungen emotional und unterbewusst zu beeinflussen.

Wir entscheiden uns also gar nicht rational für ein bestimmtes Markenprodukt?

Nein, zumindest im Falle unserer Lieblingsmarken, also der First Choice Brands, ist wissenschaftlich erwiesen, dass hier das limbische System aktiviert wird, also Gehirnstrukturen, in denen Emotionen verarbeitet werden. Biologisch macht das durchaus Sinn, denn so wird unser Gehirn entlastet und verbraucht weniger Energie für anstrengende Entscheidungen.

Was macht eine starke Marke denn aus? Wie wird man für die Kunden zur ersten Wahl?

Menschen lieben Geschichten – und erfolgreiche, starke Marken erzählen gute Geschichten. Dahinter kann eine echte Pionierleistung oder Heldengeschichte stecken, wie beispielsweise bei Kneipp, dessen Firmenname auf einen wohltätigen Pfarrer zurückgeht, der sich sein Leben lang für die Gesundheit der Menschen eingesetzt hat. So ein Mythos kann aber auch frei erfunden sein, wie beispiels­weise beim Energydrink Red Bull, der bekanntlich Flügel verleiht. Diese Geschichte wird in der Werbung sehr gut erzählt, zum Beispiel mit einem unschuldig Angeklagten, der dem bösen Richter davonfliegt.

Storytelling ist also wichtiger als produktbezogene Fakten?

Ja, zumindest spielt die narrative Seite eine erhebliche Rolle. Unsere bevorzugten Marken genießen in der Regel ein unerklärliches, intuitives Vertrauen. Da geht es um Glauben, nicht um gesichertes Wissen. Das heißt aber auch: Nicht das Produkt trägt die Marke, sondern umgekehrt. Unternehmen ohne Geschichte verschenken oft wertvolles Werbepotenzial, indem sie ausschließlich auf Produkteigenschaften abstellen.

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Kirstin von Elm

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