Besser entscheiden: mit Kopf und Bauch

Wenn Maja Storch erklärt, dass man seinen Wurm nicht würgen soll, ist ihr die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer stets sicher. Die promovierte Psychologin ist Mitbegründerin und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich ISMZ, hervorgegangen aus der Universität Zürich. Außerdem ist sie Schöpferin des Strudelwurms „Würmli“. In Büchern, Seminaren und Vorlesungen dient die kleine bunte Wurmfigur als didaktische Metapher, wenn es darum geht, komplexe psychologische Prozesse bildhaft und leicht verständlich darzustellen.
Der urzeitliche Strudelwurm steht dabei für das unbewusste Bewertungssystem, über das nicht nur Menschen, sondern auch Tiere ganz ohne Worte verfügen. Der deutsche Biologe und Gehirnforscher Gerhard Roth spricht auch vom emotionalen Erfahrungsgedächtnis, das die gesammelte Lebenserfahrung in Form von Gefühlen und Körpererfahrungen speichert. Evolutionsgeschichtlich ist dieses System viel älter als der Verstand und arbeitet vor allem sehr viel schneller: „Innerhalb von 200 Millisekunden antwortet unser Würmli auf äußere Reize mit einer eindeutigen Körperreaktion oder einem Gefühl“, sagt Maja Storch.
Emotionen: kein Störfaktor für das vernünftige Denken, sondern wichtige Entscheidungshilfe
Die Botschaft ist dabei so simpel wie das Ziel: Gute Erlebnisse wiederholen, schlechte vermeiden. Würmli kennt nur zwei Kategorien: Stop oder Go, Grrrmmpf oder Bingo. Umgangssprachlich werden seine Signale meist als Intuition oder Bauchgefühl bezeichnet. Neurowissenschaftler verwenden für die körperlich wahrnehmbaren Reaktionen den Fachbegriff somatische Marker: „Es gibt eine Vielzahl von Körpersignalen, nicht nur aus dem Bauch“, sagt Maja Storch. Sprichwörtlich sind zum Beispiel der gesträubte Nacken, der beschleunigte Puls, die zugeschnürte Kehle, die zittrigen Knie, die Schmetterlinge im Bauch oder der Stein, der vom Herzen fällt. In freier Natur sichere dieses uralte blitzschnelle Bewertungssystem Wohlbefinden und Überleben. Grund genug, es im modernen Alltag nicht einfach zu ignorieren, gibt die erfahrene Motivations- und Entscheidungstrainerin zu bedenken. „Wissenschaftlich werden Emotionen schon längst nicht mehr als Störfaktor für das vernünftige Denken betrachtet, sondern gelten als sinnvolle und wichtige Entscheidungshilfe“, sagt sie.
Der Haken an der Sache: Nicht immer kommen Kopf und Bauch zur selben Entscheidung. Anstatt somatische Marker zu beachten und körperliche Signale adäquat in unsere Entscheidungsfindung einzubeziehen, neigen wir in solchen Fällen kulturbedingt dazu, unser lebenserfahrenes Würmli zu würgen und „unsachliche“, nicht klar ausformulierte Ängste oder Wünsche zu unterdrücken. Wir laden die miesepetrige Erbtante zum Geburtstag ein, obwohl Würmli mit Kopfweh protestiert, und nehmen der Kollegin den lästigen Bericht ab, während Würmli beleidigt vor sich hin grummelt, das sei jetzt schon das dritte Mal. Und auch den mäßig bezahlten Job in Berlin sagen wir ab, obwohl Würmli beim Gedanken ans Umziehen plötzlich so ein freies Gefühl in der Brust hat. Vor allem im beruflichen Kontext gelte das Diktat der Vernunft, Entscheidungen müssten rein sachlich nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül getroffen werden: „Das Ideal vieler Führungskräfte ist noch immer der sogenannte Homo oeconomicus, der sich in seinen Entscheidungen wie eine Rechenmaschine verhält“, weiß Maja Storch aus zahlreichen Einzel- und Firmencoachings.
Eine gute Entscheidung ist eine Entscheidung, bei der Verstand und unbewusstes koordiniert sind.
Dr. Maja Storch
„Wer körperliche Signale ständig ignoriert, trifft nur selten gute Entscheidungen“

Dabei ist permanente Selbstkontrolle erwiesenermaßen weder clever noch gesund: „Wer körperliche Signale ständig ignoriert, trifft nur selten gute Entscheidungen“, warnt Storch (siehe dazu auch Test: Welcher Entscheidungstyp sind Sie?). Das bedeute im Umkehrschluss nicht, dass man stets bedingungslos seinem Bauchgefühl folgen solle, wie es so mancher Esoterikratgeber suggeriert, denn auch dann seien Probleme programmiert. Vielmehr gilt es, beide Seiten zu beachten. „Eine gute Entscheidung ist eine Entscheidung, bei der Verstand und Unbewusstes koordiniert sind“, stellt die Psychologin klar.
Statt den Wurm also jedes Mal zu würgen, wenn er etwas anderes will als der Kopf, rät Maja Storch zur Wurmkur: „Nehmen Sie sich in solchen Situationen Bedenkzeit und versuchen Sie, die unbewussten körperlichen Signale in rationale, sprachliche Argumente zu übersetzen“, so ihre Empfehlung. So werden Sie handlungsfähig. Haben Sie zum Beispiel Angst, dass die Erbtante wieder die ganze Zeit am Haus und den Kindern herumnörgelt, bis Ihrem Partner der Kragen platzt? Dann besuchen Sie sie lieber, anstatt sie zu sich einzuladen. Fühlen Sie sich von der Kollegin ausgenutzt? Dann vereinbaren Sie eine konkrete Gegenleistung, bevor Sie ihr mal wieder Arbeit abnehmen. Oder hapert es ihr einfach am Zeitmanagement? Dann erklären Sie ihr freundlich, wie sie ihr Arbeitspensum künftig besser strukturieren kann, anstatt Sie und andere damit zu belasten. Und wenn Sie gerne raus aus der Provinz und ab in die Großstadt wollen, prüfen Sie weitere Optionen. Vielleicht zahlen andere Unternehmen besser? Oder Sie können dort eine Weiterbildung machen und so in höhere Gehaltsklassen aufsteigen? Und wenn Sie Ihr Auto nicht mehr wie bisher für den langen Arbeitsweg brauchen und in Berlin endlich mit Ihrer Freundin zusammenziehen können, reicht das geringere Anfangsgehalt vielleicht sogar bequem aus.
Fazit: Wer Würmli versteht, kann gezielt nach Alternativen suchen – und sich am Ende für die Variante entscheiden, bei der Kopf und Bauch im Einklang sind.
Welcher Entscheidungstyp sind Sie?
Sie können sich nur schwer entscheiden, lassen sich stark von anderen beeinflussen oder manövrieren sich mit Ihren impulsiven Schnellschüssen regelmäßig ins Chaos? Selbsterkenntnis ist der erste Schritt, um bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei hilft Ihnen der Entscheidungstypentest von Maja Storch. Erkennen Sie sich wieder?
Gemischte Gefühle: Leichter entscheiden mit der Affektbilanz
Nicht immer ist das Bauchgefühl eindeutig. Das unbewusste Bewertungssystem kann leider durchaus widersprüchliche Signale aussenden. So kann beispielsweise der Gedanke, den Job zu wechseln und dafür in eine neue Stadt umzuziehen, sowohl positive als auch negative Gefühle auslösen.
Kirstin von Elm
Weiterführende Links
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http://majastorch.de/