Arbeitswelt & Karriere

Shared Leadership – Ein Arbeits­zeit­modell macht Karriere

Foto: Stegen/Hentschel
Carsharing, Kleidung oder die eigene Couch – Teilen gehört in vielen Bereichen unseres Lebens zum ganz normalen Alltag. Doch: ein geteiltes Sekretariat, ein gemeinsamer Kalender und ein Team für zwei Chefs? Na klar! Immer mehr Unternehmen und Managementetagen brechen mit traditionellen Strukturen und machen den Weg frei für ein Arbeitszeitmodell, das vielleicht vor einer großen Karriere steht: das Shared Leadership.

Dienstag, 8.45 Uhr, Daimler-Zentrale in Stuttgart. Allmorgendliche Konferenz des Kommunikationsbereichs. Mit dabei sind Cornelia Hentschel und Kristin Stegen. Sie leiten die Abteilung „Corporate Content & Creations“, die die digitalen Daimler-Kanäle verantwortet. Sie tun das gemeinsam. Nach einigen Jahren als Redenschreiberin für den Vorstand suchte Cornelia Hentschel nach etwas Neuem im Job: nach mehr Interaktion, mehr Verantwortung und mehr Freiraum.

Im Co-Prinzip hat sie es gefunden. Ihre erste Jobsharing-Partnerin ging in Elternzeit, doch für die 41-Jährige war klar: „Ich mache im Tandem weiter!“ So fanden sich Cornelia Hentschel und Kristin Stegen, die eine familienkompatible Position suchte. Sie sind eins von 126 Führungskräftetandems bei Daimler und teilen sich die Position zu je 30 Stunden.

Ortswechsel. Thomas Angerstein und Christof Lieber sitzen im Sankt Leon-Roter Großraumbüro. Um sie herum hektisches Treiben. Sie stellen ein Expertenteam zusammen, das einen Systemstillstand eines Kunden in England beheben soll. Gemeinsam leiten sie bei SAP die Abteilung „Mission Critical Support“ für Kunden in Europa, Afrika und im Mittleren Osten. In einem Team von 30 Kollegen und zeitintensiven Projekten arbeiten beide zu 100 Prozent. „Wichtig ist uns, dass wir neben dem People Management intensiv an den Fällen mitarbeiten“, so Thomas Angerstein.

Obwohl sie unterschiedliche Werdegänge und Persönlichkeiten haben – Thomas Angerstein ist gelernter Landmaschinenmechaniker und hat für SAP schon in anderen Fachgebieten gearbeitet, Christof Lieber ist Wirtschaftsinformatiker und somit den klassischen Karriereweg gegangen –, Thomas Angerstein derjenige ist, der eine sehr direkte Ansprache pflegt, Christof Lieber ihn mit seiner Wortgewandtheit wieder einfängt und sie 16 Jahre trennen: Sie haben ein sehr ähnliches Mindset, wie sie es nennen. „Das ist unglaublich wichtig. Es ist egal, wen unsere Mitarbeiter ansprechen. Sie bekommen von uns beiden eine ähnliche Antwort“, erklärt Christof Lieber.

Geteilte Verantwortung und doppelte Power

Vor SAP hatte Thomas Angerstein dem Managerdasein abgeschworen. Eigentlich. Die Möglichkeit bei SAP, sämtliche Führungsaufgaben in einem Tandem wahrzunehmen, hat ihn umgestimmt. „So wie ich jetzt arbeite, ist es völlig anders – auch, weil sich der Druck auf zwei Schultern verteilt.“ Christof Lieber wiederum schätzt die Erfahrung seines älteren Counterparts. „Im Übergang ins Managerdasein hat er mir sehr geholfen. Ich war nie allein.“

Cornelia Hentschel (l.) und Kristin Stegen (r.) führen gemeinsam ein 25-köpfiges Team. Foto: Stegen/Hentschel

12.30 Uhr, Mittagspause bei Cornelia Hentschel und Kristin Stegen. Was ihnen an ihrem Zweiergespann besonders gefällt? „Wir haben beide einen freien Tag, an dem wir Zeit für Kinder und Privates haben.“ Alle profitieren von der Doppel-Power. „Wir diskutieren viel – sind Dauer-Sparringspartner. In Summe treffen wir reflektierter Entscheidungen und kommen zu besseren Lösungen“, so Cornelia Hentschel. Kristin Stegen findet auch, dass sie zu zweit einfach mehr sind als die Summe aus eins plus eins: zwei Perspektiven, bessere Erreichbarkeit, Wissen aus zwei Berufsleben, sich ergänzende Stärken und mehr Tipps und Kontakte durch ihr gemeinsames Netzwerk.

Kein Selbstläufer

Ob Cornelia Hentschel und Kristin Stegen oder Thomas Angerstein und Christof Lieber, ob zu 75/75- oder 100/100-Prozent: Alle Führungskräfte, die uns ihre Arbeit nähergebracht haben, leiten auf die für sie passende Weise erfolgreich ein Team. Shared Leadership hat also durchaus das Zeug zur Karriere – aber nicht automatisch. „Es muss eine Vertrauenskultur herrschen.

Christof Lieber (r.) und Thomas Angerstein (l.) sind verschieden – und sind in ihrer Denkweise zugleich doch sehr ähnlich. Foto: Lieber/Angerstein

Das Management muss darauf bauen können, dass Mitarbeiter Aufgaben gleichmäßig und klar aufteilen. Jeder muss wissen, wer wofür zuständig ist und was gemeinsam gemacht wird“, weiß HR-Expertin Prof. Dr. Ricarda Merkwitz von der International School of Management (ISM) in München. Darüber hinaus spielen ein fairer Umgang und ein kooperativer und kommunikativer Führungsstil eine große Rolle. „So wird sichergestellt, dass keine Informationen verloren gehen.“ Shared Leadership stößt auch an seine Grenzen: „Was man nicht sein darf: ein Alphatier. Wer stark ichbezogen ist, wird sich in einer geteilten Führungssituation nicht wiederfinden“, so Prof. Dr. Merkwitz. Zudem hat der Führungserfolg immer mit dem Reifegrad des Teams zu tun. „Bei einem Team, das sich gerade neu formiert und noch nicht gefestigt ist, sollte man sich überlegen, ob eine geteilte Führung der richtige Ansatz ist“, erklärt sie.

Drei Fragen an...

...Prof. Dr. Ricarda Merkwitz von der International School of Management (ISM) in München

Prof. Dr. Ricarda Merkwitz ist HR-Expertin und lehrt an der ISM München u.a. Human Resource Management. Foto: Foto-Video Sauter

1. Was ist das Shared Leadership eigentlich? Ist es ein ganz neues Prinzip?

In einer Ausprägung von Shared Leadership übertragen Chefs gewisse Führungsaufgaben an Teammitarbeiter. Die zweite und von uns untersuchte Definition beinhaltet das Teilen einer Position – meist von zwei Führungskräften. Entweder arbeiten beide Mitarbeiter in Vollzeit, da der Aufgabenbereich sehr groß ist, oder in Teilzeit, was oft bei Frauen in Co-Leadership-Positionen praktiziert wird. Das Prinzip der Arbeitsteilung ist keine neue Methode. Sie ist heute aber bedeutender denn je. Die Aufgaben sind vielfältiger und herausfordernder. Durch die Digitalisierung sind neue Prozesse und Themen hinzugekommen. Ich denke auch, dass wir grundsätzlich unser Verständnis von Führung verändert haben – im Sinne von mehr flexiblen Arbeitsformen und -zeiten.

2. Was bringt dieser Ansatz den Unternehmen letztlich?

Wir erleben einen Wandel von einem arbeitgeber- in einen arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt und es fehlen Fachkräfte. Wir haben gut ausgebildete Arbeitnehmer, wie Mütter oder Väter, die nicht wieder in den Job einsteigen, da attraktive Teilzeitangebote fehlen. Hinzu kommen Menschen in Altersteilzeit, die in einem geringen Stundenrahmen weiterarbeiten würden. Über die Shared-Leadership-Modelle haben Unternehmen die Chance, diese stille Arbeitsmarktreserve zu wecken. Eine sehr attraktive Option, um vom „Karrierekiller” Teilzeit wegzukommen und auf dem gleichen Level weiterzuarbeiten – ohne überfordert zu werden. Unserer Erfahrung nach sind Arbeitskräfte in geteilten Führungssituationen sehr motiviert. Sie wissen, was sie haben. Natürlich vergrößert sich auch das Potenzial: Sie haben gemeinsam mehr Erfahrung und Know-how.

3. Was sind Voraussetzungen im Unternehmen, damit es funktioniert?

Grundsätzlich sollten Unternehmen bereit für Veränderung sein. Sie müssen sich im Klaren sein, dass Jobsharing vorhandene Strukturen verändert. Ich als Personalerin bin der Meinung – und das ist wissenschaftlich untersucht –, dass die Arbeitswelt von morgen viel stärker von Netzwerken geprägt sein wird. Über geteilte Führungsmodelle bewegen wir uns weg von der klassischen Linienstruktur hin zu einer Netzwerkorganisation.
Eine Sache ist dabei ganz zentral: das Commitment der Geschäftsleitung. Sie muss hinter dem Modell stehen, sonst funktioniert es nicht. Tut sie es nicht, gibt es viel Kritik und eine grundsätzlich negative Haltung, weil der Wille zur Umsetzung fehlt.
Vielen Dank für das Gespräch!

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Inspirationen und Tipps für Unternehmen, die selbst Shared Leadership einsetzen wollen:

Mutig starten: Jana Tepe ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von Tandemploy. Das Berliner Unternehmen hat eine Software entwickelt, die mittlerweile über 70 Firmen weltweit einsetzen, um Kolleginnen und Kollegen für Kollaborationsformen und flexible Arbeitsmodelle zu matchen. Oft hat Jana Tepe mitbekommen, wie Unternehmen an das Thema Shared Leadership herantreten. Sie rät, anfangs die Bereiche zu fokussieren, in denen es mutige Führungskräfte gibt, die voranschreiten. „Mein Tipp: einfach anfangen und auf dem Weg lernen, was im Unternehmenskontext beachtet werden muss.“

Community aktivieren: Ines Lietzke-Prinz und Rainer Gimbel leiten bei Evonik gemeinsam das Projekt „PAIRfect“, das eine interne Jobsharing-Plattform testet. Seit interne Umfragen den Bedarf an Jobsharing aufgedeckt hatten, setzt sich der Chemiekonzern verstärkt mit dem Thema auseinander. Das Rezept der beiden: Sie nutzen Digital-Kompetenzen von Evonik, um zusammen mit dem HR-Bereich New-Work-Themen zu entwickeln und zu erproben. Hinzu kommt eine starke Community mit Multiplikatoren, die ihnen und dem Projekt wichtigen Rückenwind gibt.

Matchen: Daimler, Evonik und SAP nutzen interne Plattformen, um Führungskräfte zusammenzubringen. Das ist besonders für Unternehmen sinnvoll, die viele Mitarbeiter haben. Oft sitzen sie über mehrere Standorte verteilt und kennen sich nicht.

Austauschen: Ob Foren oder Round Tables, die bestehende Tandems und Interessierte zusammenbringen: Der Austausch wird überall großgeschrieben. So auch unter den Duos. Cornelia Hentschel und Kristin Stegen nehmen sich bei E-Mails in Kopie, berichten sich gegenseitig aus Meetings und teilen sich eine Teamassistentin. Christof Lieber und Thomas Angerstein schätzen die Arbeit im Großraumbüro, wo sie viel beiläufig mitbekommen. Auch die Nähe zueinander ist ihnen wichtig, um sich jeden Tag abzustimmen.

Johanna Wagner

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