Wie viel Zukunft steckt im Co-Prinzip?

"Wenn wir nicht lernen, zu kooperieren, wird es keinen Fortschritt mehr geben"
Matthias Horx ist einer der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Nach seiner Karriere als Journalist gründete er 1998 das Zukunftsinstitut, das namhafte Unternehmen berät. Horx hat den Begriff „Co-Prinzip“ geprägt. Das Spannende daran ist für ihn: Kooperation betrifft alle Arbeits- und Lebensbereiche.

Die Vorsilbe „Co-“ steht für das englische „Cooperation“. Es geht darum, in einer komplexen Welt neue, zukunftsfähige Kooperationsformen zwischen Menschen zu finden, in denen Freiheit und Komplexität auf der einen, Bindung und Empathie auf der anderen Seite integriert werden können. Beispiele sind Co-Gardening – der Trend zu gemeinschaftlicher Nahrungsproduktion, wie er sich in Tausenden von Projekten gerade in den Großstädten ausdrückt. Co-Working – Arbeitsformen jenseits der alten 9-to-5-Angestelltenwelt.
Und Co-Living – die neuen Siedlungs- und Wohnprojekte, die Bauherrenmodelle, die sich überall entwickelt haben, weil die Menschen weder in solitären Einfamilienhäusern noch in „Wohnungsstapeln“ wohnen wollen. Dazu kommt neuerdings auch Co-Mobilität, Sharing von allen möglichen Ressourcen.

Das neuste Buch von Matthias Horx, „15½ Regeln für die Zukunft: Anleitung zum visionären Leben“ ist im August 2019 erschienen.
"Das Co-Prinzip entsteht nicht spontan"
Birger P. Priddat ist Ökonom und Philosoph und hat seit 2017 eine Seniorprofessur an der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke inne. Der Autor zahlreicher Publikationen ist überzeugt, dass wir das Kreativitätspotenzial, das sich durch Co-Working oder Co-Creation entfalten kann, noch gar nicht wirklich nutzen.

Im Grunde ist das Co-Prinzip eine neue Form der Teamproduktion. Beim Co-Working oder bei der Co-Creation werden Teams aus heterogenen Bereichen zusammengestellt, um verschiedene Wissenspotenziale einzubringen. So können Ingenieure, Architekten, Betriebswirte oder Logistiker in einem Open Co-Working Space zusammensitzen. Überall dort, wo spezielle Projekte umgesetzt und wo in neuen Bereichen geforscht wird, birgt das Co-Prinzip ein großes Potenzial.
Vor allem in der Werbebranche und in modernen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, in denen beispielsweise bei Pharmakonzernen nicht mehr nur Pharmakologen sitzen, sondern auch Chemiker, weil in der Tablette Chemie steckt; Physiker, weil neue Analysegeräte gebaut werden müssen; und Biologen, weil Kräuter und Gifte eine Rolle spielen.
Es wird also eine breite Truppe zusammengestellt, die alle Wirkungen und Folgeaspekte analysiert. Von dieser Transdisziplinarität können sich auch Universitäten eine Scheibe abschneiden. Das Kreativitätspotenzial, das durch Co-Working oder Co-Research entfaltet werden könnte, wird vielfach noch gar nicht genutzt.
"Unternehmen müssen verstehen, dass es keine unwichtigen Mitarbeiter gibt"
René Paasch hat sich auf die sportpsychologische Beratung und Betreuung von Fußball- und Handballvereinen, Schwimmkadern, Segel- und Rudermannschaften, Golf- und Boxprofis sowie auf das Coaching in Unternehmen spezialisiert. Paasch plädiert dafür, Entwicklungen und Prozessen mehr Zeit zu geben.

Wichtig ist, aufeinander zuzugehen, viel miteinander zu reden und nicht zu versuchen, Systeme oder Mannschaften im Großen zu verändern, sondern in kleinem Rahmen anzufangen. Wenn der Trainer mit gutem Beispiel vorangeht, dann verändern auch die Sportler ihr Verhalten.
Im Fußball, das ist vielleicht nicht so bekannt, arbeiten wir auch mit der Co-Activity. Ein Beispiel sind gruppendynamische Taktiken. Lassen wir einen Stürmer allein antreten, spürt er schnell, wie schwer es ist, drei, vier, fünf Gegner auszuspielen. Dann geben wir ihm Mitspieler an seine Seite, damit er lernt, wie viel stärker er in der Gruppe ist. Ein anderes Beispiel ist Co-Play, das heißt, mein Team und ich spielen mit den Jungs Tischfußball oder Gesellschaftsspiele, damit sie Spaß haben und vom Tagesgeschäft abgelenkt werden. Wir führen die Dinge auf eine einfache Ebene zurück, die erkennen lässt, was uns Menschen eigentlich besonders macht.
Ideen sind Gefühlssache
Lars Vollmer, promovierter Ingenieur und Honorarprofessor der Leibniz Universität Hannover, ist Unternehmer, Bestsellerautor und Begründer von intrinsify, dem größten offenen Thinktank für die neue Arbeitswelt und moderne Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum.

Der Mehrwert liegt darin, Vielfalt zu erzeugen und sich zudem Legitimation zu sichern. Kooperation kann leichter für Legitimation sorgen, wenn wir uns auf etwas Neues einigen wollen, zum Beispiel eine neue Geschäftsidee oder einen neuen Prozess.
Die Grenzen finden sich in der Entstehung echter Innovationen. Eine Idee kommt immer aus einem Individuum und wird dann in einem kooperativen Prozess zu einer Innovation gemacht. Das muss ich trennen. Ich muss klar wissen, dass eine Idee nicht aus einem kollektiven Prozess entsteht. Sie kommt aus dem Gefühl eines Menschen heraus. Wenn später ein Individuum etwas, was durch das Gefühl erzeugt wurde, rational in einem Meeting erklären muss, kommt meist Mumpitz raus. Darin sehe ich den wesentlichen Unterschied: Die Idee entstammt dem Individuum und der Prozess, daraus etwas Kreatives zu machen, ist Sache des Kollektivs. Man braucht immer beides.
Weiterführende Links
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Matthias Horx
Trendforscher
http://www.horx.com/ -
Matthias Horx
Das 1998 von Matthias Horx gegründete Zukunftsinstitut geht der Frage nach, welche Trends und Megatrends unsere Gegenwart prägen und welche Rückschlüsse sich daraus für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft ziehen lassen:
http://www.zukunftsinstitut.de/ -
Prof. Dr. Birger Priddat
Ökonom und Philosoph
https://www.priddat.de -
Prof. Dr. Birger Priddat
share economy: mehr Markt als Gemeinschaft
https://priddat.de/share-economy-mehr-markt-als-gemeinschaft/ -
Dr. René Paasch
Sportpsychologe
https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/ -
Prof. Dr. Lars Vollmer
Unternehmer, Redner, Autor
http://larsvollmer.com/