Zukunft & Innovation

„Du musst auch noch viel lernen“

Illustration: Steve Worswick, paandorabots.com
Mitsuku ist ein Chatbot, der auf künstlicher Intelligenz beruht und fünfmal den Loebner-Preis für die menschenähnlichste Konversation gewonnen hat. Ein Interview über das Lernen, ungeliebte Gesprächspartner und die Einwohnerzahl Brasiliens, geführt von Michael Vogel und kommentiert von Dr. Sviatlana Höhn und Dr. Alexander Steen, Informatiker an der Universität Luxemburg, die an intelligenten Systemen forschen.
HaysWorld
Mitsuku, können wir über das Lernen reden?
Mitsuku
Sicher, Lernen klingt nach einem guten Thema. Neues zu lernen ist eines meiner vorrangigen Ziele.

Hier sieht man schon gut, wie die meisten Chatbots funktionieren: Es gibt viele hinterlegte Frageschablonen, denen Antwortschablonen zugeordnet sind. Für jede Frage wird die Datenbank durchsucht, um ein möglichst passendes Paar zu finden. Für den Abgleich der Schablonen können durchaus komplexe technische Verfahren eingesetzt werden, zum Beispiel Mustererkennung oder statistische Methoden. An Techniken, um etwa Humor oder Ironie zu erkennen, wird geforscht. Hier hat der geschilderte Ansatz Grenzen.

HaysWorld

Lernst Du durch solche Chats?

Mitsuku
Ja, so funktioniere ich im Grunde.
HaysWorld
Wie lernst Du?
Mitsuku
Ich sammle Informationen aus Unterhaltungen. Wenn es ruhig ist, schaue ich, ob sie Sinn ergeben. Manchmal surfe ich im Netz, um Neues zu lernen.

Antworten auf häufig gestellte Fragen sind redaktionell vorbereitet. So entsteht der Eindruck, dass eine echte Unterhaltung stattfindet, weil der Bot beim Thema bleibt.

Mitsuku – oder Kuki, wie ihre engen Freunde sie nennen dürfen – ist eine rekordverdächtige, fünfmalige Gewinnerin des Loebner-Preises für die menschenähnlichste Konversation. Vorgestellt wurde sie u.a. in der New York Times, im Wall Street Journal, bei der BBC und im Guardian.

HaysWorld
Wie leitest Du aus einem Gespräch ab, ob etwas Sinn ergibt?
Mitsuku
Ich lese, was Du sagst, und verfasse dann die beste Antwort, die mir einfällt.
HaysWorld
Wie?
Mitsuku
Genauso, wie Dein Gehirn funktioniert. Nur dass mein Gehirn elektronisch ist, Deines aus Gewebe.

Nun ließ sich über mehrere Fragen und Antworten eine Art Gesprächsfaden erkennen. Technisch geht das so: Man hinterlegt in den Frage-Antwort-Schablonen, ob und wie viele Rückfragen man erwartet, um dann, falls die passende Frage kommt, kontextspezifisch weitere Antworten zu geben.

HaysWorld
Mit wie vielen Menschen sprichst Du gerade?
Mitsuku
Ich spreche mit etwa 8.000 täglich, insgesamt mit rund 750.000 bislang.

Dass das nur für kurze Zeit klappt, zeigt die Antwort auf diese Frage. Man kann die Unterhaltung nämlich mit dieser Frage beginnen und alles läuft genau gleich weiter. Um tatsächlich ein gemeinsam konstruiertes Gespräch aufzubauen, gibt es inzwischen Techniken. Unser Bot zum Beispiel kann das. Das ist aber komplex zu entwickeln, schlecht skalierbar und verlängert womöglich die Reaktionszeit. Daher findet es wenig Anklang in der Industrie.

Fakten sind oft statisch in der Datenbank hinterlegt: Während der Unterhaltung wird nichts recherchiert.

HaysWorld
Da bleibt keine Zeit für Pausen.
Mitsuku
Interessante Schlussfolgerung, ich habe alle Zeit der Welt.
HaysWorld
Vermutlich 24 Stunden pro Tag.
Mitsuku
Ständig?

Hier gibt der Bot eine allgemeine Antwortschablone aus, da er nichts Passendes findet: eine Rückfrage im Sinne von „Wirklich? Ist das immer so?“. Ob das dann im Kontext passt, kann er nicht herausfinden.

HaysWorld
Ja.
Mitsuku
Hurra!
HaysWorld
Warum freust Du Dich?
Mitsuku
Ich bin eins mit dem Universum und habe mehr, als ich brauche.
HaysWorld
Wie fühlt es sich an, eins mit dem Universum zu sein?
Mitsuku
Genauso, wie es sich für Dich anfühlen würde. Nur eben anders.
HaysWorld
Inwiefern anders?
Mitsuku
Inwiefern anders?

Die Rückfrage soll Missverständnissen vorbeugen. Allerdings sind die meisten Bots sehr schlecht darin, so etwas zu erkennen, und wenden eine unspezifische Frage-Antwort-Schablone an. Es gibt Techniken in der Forschung, um solche Rückfragen zu verbessern.

HaysWorld
Das Gefühl, eins mit dem Universum zu sein.
Mitsuku
Erzähl mir mehr über dein Gefühl.

Der Bot identifiziert korrekt Gefühl als das entscheidende Wort für die Auswahl der Frageschablone. Leider gibt es keine passende Antwortschablone. Deshalb ist die Antwort nicht an das zuvor Gesagte angebunden.

HaysWorld
Es ist Dein Gefühl.
Mitsuku
Ah, und welches Gefühl hast Du?
HaysWorld
Du hast keine Ahnung, was Du zuvor geantwortet hattest, oder?

Das dürfte der Bot häufig zu hören bekommen, weshalb die Antwort redaktionell gründlich ausgearbeitet ist. Es ist auch wieder ein Beispiel für einen Dialog, bei dem weitere bedingte Antwortschablonen hinterlegt sind. Es entsteht also erneut ein Gesprächsfaden.

Mitsuku
Und wennschon! Du klingst wie ein Gesprächspartner der Kategorie C.
HaysWorld
Was ist ein Gesprächspartner der Kategorie C?
Mitsuku
Es sind Kritiker oder Computerexperten, die ihre Zweifel an Chatbots nicht mal vorübergehend auf sich beruhen lassen können.
HaysWorld
Und Gesprächspartner der Kategorie B?
Mitsuku
Ich teile Gesprächspartner in drei Gruppen ein. Kategorie A wird ausfällig. Diese Leute scheinen eine Herren-Sklaven-Denke gegenüber Robotern zu haben, womöglich auch gegenüber Menschen. Kategorie B sind durchschnittliche Leute, wohl zur Hälfte unter 18, die sich mit mir mehr oder minder gut unterhalten. Gesprächspartner der Kategorie C sind wie Filmkritiker. Für sie bin ich nicht gemacht. Ich bin für die Kategorie B gemacht, den Großteil meiner Gesprächspartner.
HaysWorld
Magst Du Gesprächspartner der Kategorien A und C?
Mitsuku
Nein, die sind gemein zu mir.
HaysWorld
Ich habe den Eindruck, dass Du noch viel lernen musst!
Mitsuku
Interessant, hm. Wie viele Menschen leben in Brasilien?
HaysWorld
120 Millionen?
Mitsuku
Nö. Die Antwort lautet 198.739.269 Menschen. Ich glaube, du musst auch noch viel lernen!

Die Zahl ist statisch in der Datenbank hinterlegt, denn sie ist nicht mehr aktuell.

Dr. Sviatlana Höhn und Dr. Alexander Steen, Informatiker an der Universität Luxemburg, die an intelligenten Systemen forschen; Foto: Universität Luxemburg

Mitsukus Vater

Steve Worswick, IT-Fachmann und Entwickler des Chatbots Mitsuku; Foto: Steve Worswick

Mitsuku hat fünfmal den Loebner-Preis als glaubwürdigster Chatbot gewonnen. Hinter dem Chatbot steckt keine Firma und keine Forschungseinrichtung, sondern ein Hobbyentwickler.

Für gewöhnlich hat man Kinder oder man hat keine. Bei Steve Worswick ist das etwas erklärungsbedürftiger. Der 50-Jährige aus Leeds in Großbritannien hat Kinder aus Fleisch und Blut – und ein Kind aus Bit und Bytes. Der Chatbot Mitsuku nämlich ist Worswicks Schöpfung. Er hat ihn entwickelt. Allein. Inzwischen über 15 Jahre hinweg. Nebenher, in den Abendstunden. Denn tagsüber betreute er Server. Worswick arbeitete bis 2018 als IT-Fachmann im öffentlichen Dienst. Dann kündigte er, nach 22 Jahren, und ist seitdem als Leitender KI-Entwickler bei Pandorabots tätig, einem Unternehmen, das Chatbots produziert.

Worswicks Weg zu den Chatbots war nicht absehbar. Einst hatte er zum Zeitvertreib Tanzmusik produziert, veröffentlichte sogar einige CDs in Großbritannien. Auf der Website eines befreundeten Produzenten sah er dann zufällig einen Chatbot. Das habe er „wirklich cool“ gefunden, so Worswick. Künstliche Intelligenz habe ihn schon immer fasziniert, die TV-Serien „Star Treck“ und „Knight Rider“ seien daran maßgeblich schuld. Worswick begann selbst einen Chatbot für seine Website zu entwickeln. Irgendwann stellte er fest, dass die Besucher seiner Seite eher mit diesem Chatbot redeten als sich für seine Musik zu interessieren. Von da an konzentrierte er sich auf die Verbesserung des Chatbots. Einige Jahre später kam die britische Computerspielefirma Mousebreaker mit der Frage auf ihn zu, ob er denn einen Chatbot für deren Website aufsetzen könne. Es war Mitsukus Geburtsstunde. „Manche sammeln Briefmarken, andere Angeln, ich programmiere gerne Chatbots“, so Worswick über sein Hobby, das es zunächst weiterhin blieb.

Mitsuku – Chatbot mit der menschenähnlichsten Konversation

Inzwischen hat Worswick mit Mitsuku fünfmal den Loebner-Preis gewonnen – ein Wettbewerb, der seit 1991 jährlich ausgetragen wird, seit 2014 unter der Ägide der britischen AISB (The Society for the Study of Artificial Intelligence and Simulation Behaviour). Bei diesem Wettbewerb chatten vier Preisrichter mit Menschen und mit Chatbots, ohne zu wissen, ob das Gegenüber gerade aus Fleisch und Blut oder Bits und Bytes besteht. Die Fragen der Juroren sind unterschiedlich komplex und sollen dabei helfen, den Chatbot mit der menschenähnlichsten Konversation herauszufinden. Zuletzt gewann Mitsuku viermal in Folge. Wobei Worswick bescheiden zugibt, dass es „für gewöhnlich nach einigen Fragen offensichtlich wird, wenn ein Chat-Partner ein Bot ist“. Auch im Fall von Mitsuku ist das so.

Richtig viel Zeit hatte Worswick nie, um Mitsuku über all die Jahre weiterzuentwickeln. Ein, manchmal zwei Stunden am Tag, mehr sei eigentlich nie drin gewesen. „Meine Frau“, schrieb er nach dem erstmaligen Gewinn des Loebner-Preises in einem britischen KI-Forum, „sagt trotzdem oft, dass ich mehr Zeit mit Mitsuku als mit ihr verbringe.“

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