Unternehmen & Märkte

Bleibt alles anders

Foto: Fabian Friedrichs
Digitalisierung und Pandemie, Klimakrise und Artensterben – nein, es mangelt Deutschlands Wirtschaft nicht an Herausforderungen. Sicher geglaubte Geschäftsmodelle stehen plötzlich auf dem Prüfstand. Wie geht man als Unternehmen damit um? Drei Beispiele zeigen, wie mit Mut, Kreativität und auch mal einer Prise Irrwitz aus Umbrüchen Aufbrüche werden können.

An Umbrüche ist Fabian Friedrichs gewöhnt. „Veränderung ist Teil der DNA unseres Unternehmens geworden“, sagt der Geschäftsführer des Verlagshauses Dashöfer. In den vergangenen 15 Jahren hat sich das Geschäftsmodell des 1989 gegründeten Hamburger Familienunternehmens grundlegend gewandelt – und das gleich mehrmals. Vom klassischen Fachverlag mit Schwerpunkt auf gedruckten Nachschlagewerken und Formularsammlungen zu den Themen Finanzen und Steuerrecht hat der Verlag sich zum Weiterbildungsanbieter gewandelt. Mit Präsenzseminaren zu einem breiten Themenspektrum von Rechnungswesen über Verhandlungstraining bis Personalführung erwirtschaftete Dashöfer 2019 rund 80 Prozent seines Umsatzes.

Der Verlag Dashöfer hat Easy Speech entwickelt, eine Virtual-Reality-Brille, mit der man seine Rhetorik- und Präsentationsfähigkeiten trainieren kann. Foto: Fabian Friedrichs

Parallel dazu entwickelte das Unternehmen Onlineportale, die eine komfortablere Nutzung der bisherigen Printprodukte erlauben. „Spätestens seit 2008 hat sich für uns abgezeichnet: Print ist tot“, so Friedrichs. Seitdem gilt bei dem Verlag der Grundsatz „Digital first“ – eine Strategie, die sich speziell im Frühjahr 2020 ausgezahlt hat, als der Lockdown von einem Tag auf den anderen sämtlichen Präsenzveranstaltungen den Riegel vorschob. „Existenzbedrohend“ sei diese Situation gewesen, dennoch sei niemand im Unternehmen in Panik verfallen. „Vielmehr konnten wir schon nach wenigen Tagen die ersten Onlineseminare anbieten. Seit Mai gibt es unser komplettes Seminarangebot digital“, sagt Friedrichs.

Erfolgreiche Veränderungen erfordern Begeisterung, Mut und Risikofreude

Das jüngste Baby der Hamburger heißt Easy Speech: eine Virtual-Reality-Brille mit angebundener Spracherkennung, die dabei helfen kann, die eigenen Rhetorik- und Präsen­tationsfähigkeiten zu trainieren. Die Begeisterung, mit der Friedrichs von der Brille und ihrem Potenzial erzählt, wirkt ansteckend. „Gut so“, findet der gebürtige Karlsruher. Denn ohne Begeisterung, Mut und Risikofreude in der Führungsetage ebenso wie bei den Mitarbeitenden sei erfolgreiche Veränderung nicht möglich. Und das unabhängig davon, ob der Wandel vom Unternehmen initiiert ist oder ob – wie im Fall der Digitalisierung und von Corona – die äußeren Umstände keine andere Wahl lassen, als den Umbruch zu wagen.

Positiv denken. Überlegen: Wie geht es noch besser? Diese Haltung prägt auch die Arbeit im Familienbetrieb von Nico Brinkmann. In Winterberg im Sauerland betreibt der 40-jährige Unternehmer neben anderen Freizeitanlagen auch zwei Lifte. Statt nur im Winter surren diese auch im Sommer: In den warmen Monaten befördern sie Mountainbiker den Hang hinauf, die zuvor auf den Trails des Bikeparks Winterberg bergab geflitzt sind. 2003 hat der Vater von Brinkmann den Bikepark eröffnet. Heute gehört die Anlage zu den bekanntesten in Europa und hat einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass der Wintersportort mittlerweile auch im Sommer die Touristinnen und Touristen anlockt.

Bikepark Winterberg
Ursprünglich nur Skigebiet, seit 2003 auch Bikeparadies: Der Bikepark in Winterberg im Sauerland hat erheblich dazu beigetragen, dass die Touristen auch im Sommer kommen. Foto: Bikepark Winterberg

„Früher war hier alles auf Winter gemünzt“, erzählt Brinkmann. Kein Wunder: Verglichen mit den benachbarten Landkreisen verzeichnet das rund 700 Meter hoch gelegene Winterberg seit jeher weit überdurchschnittliche Niederschlagsmengen – und entsprechend viel Schnee. Doch der Klimawandel macht sich bemerkbar: Die Winterberger Winter werden unberechenbarer, insbesondere geht die Niederschlagsmenge zurück. Wohl auch deshalb nennt die Kommune den „Ausbau der grünen Saison“ als eines ihrer Ziele in ihrem Tourismuskonzept „Winterberg 2020 plus“.

Im Familienunternehmen Brinkmann halten sich die Ein­nahmen aus Sommer- und Wintersaison inzwischen fast die Waage. Wird aus Winterberg über kurz oder lang ein Sommerberg? „Wohl kaum“, sagt Brinkmann. Die Hinwendung zum Sommer bedeutet ihm zufolge nicht die Abkehr vom Winter – im Gegenteil. Mit massiven Investitionen in die technische Beschneiung, sprich Schneekanonen, machen er und die anderen Lift- und Gastronomiebetreiber im Skigebiet den ausbleibenden Schnee wett. In den vergangenen zehn Jahren habe man die Zahl der Betriebstage dadurch sogar steigern können. „Der Skitourismus hat ebenfalls zugenommen“, betont er. Viele der Sommergäste kämen nun auch im Winter. Doch sollte das Wetter im Winter Kapriolen schlagen, kann Brinkmann entspannt bleiben und auf den Sommer warten.

Das eine tun und das andere nicht lassen

Das eine tun und das andere nicht lassen – noch lässt sich so auch das Geschäftsmodell von Hans-Dietrich Reckhaus beschreiben. Insekten retten, die Artenvielfalt fördern – diese Ziele sind dem Unternehmer wichtig. Gleichzeitig will Reckhaus seinem eigentlichen Business (noch) nicht ganz den Rücken kehren: der Herstellung von Insektenbekämpfungsmitteln. Ein Widerspruch? Nicht unbedingt, findet der Bielefelder – von innen heraus will er den Umbruch in seiner Branche herbeiführen. Wie dieser Umbruch aussehen kann, lebt er im eigenen Betrieb vor. Folgerichtig steckt der Wunsch nach Veränderung bereits in seinem Titel: Als „transformierender Gesellschafter“ ist Reckhaus dabei, sein Familien­unternehmen vom Insektenvernichter zum Insektenretter zu verwandeln.

Vom Insektenvernichter zum Insektenretter: Der Unternehmer Hans-Dietrich will seine Branche von innen heraus verändern. Foto: Jelena Gernert

Am Anfang dieser Entwicklung stand eine Fliegenfalle. Reckhaus wollte sie mithilfe einer Kunstaktion vermarkten und wandte sich dafür an die Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin. Doch statt seine geplante Werbekampagne zu unterstützen, erklärten ihm die beiden Brüder, er müsse mit dem Töten aufhören, und entwickelten die Rettungs­aktion „Fliegen retten in Deppendorf“. Dabei waren die Einwohnerinnen und Einwohner von Deppendorf aufgefordert, möglichst viele Fliegen zu fangen und in ein Fliegenhaus zu bringen. Zwei der Teilnehmenden gewannen ein Wellness-Wochenende – in Begleitung von einer der geretteten Fliegen. Publikumswirksam thematisierten die Künstler so die Frage „Welchen Wert hat eigentlich ein Insekt?“. Das war 2012. Seitdem baut Reckhaus sein Geschäft sukzessive um. „Mit ihrer Frage haben die beiden Riklins bei mir als tradi­tionellem Insektenbekämpfer einen grundsätzlichen Umdenkprozess ausgelöst“, sagt der Unternehmer. Statt möglichst viel Geld zu verdienen und damit dann etwas Sinnvolles zu unterstützen, gehe es ihm heute darum, mit „Sinnvollem Geld zu verdienen“. Neben verschiedenen Dienstleistungen zur Förderung der Artenvielfalt bietet Reckhaus heute auch eine Lebendfalle für Fruchtfliegen an.

Noch rechnet sich der neue Ansatz wirtschaftlich nicht. Doch Reckhaus ist sicher, dass er den richtigen Weg gewählt hat. „Ein Weiter-so hätte uns auf Dauer nicht erfolgreich bleiben lassen“, ist er überzeugt und sagt: „Alle müssen mit den Veränderungen, die sie sich wünschen, bei sich selbst anfangen.“

Hans-Dietrich Reckhaus

Mit seinem Unternehmen stellt Hans-Dietrich Reckhaus Insektenbekämpfungsmittel her. Gleichzeitig entwickelt er Konzepte, um die Biodiversität zu fördern. Seine Branche will er so von innen heraus verändern. Ein Interview über Pioniere, grüne Schafe und übers Umdenken.

Als transformierender Gesellschafter ist Hans-Dietrich Reckhaus dabei, sein Familienunternehmen vom Insektenvernichter zum Insektenretter zu verwandeln. Foto: Jelena Gernert

Der Wandel von Reckhaus vom Insektentöter zum Insektenretter hat ein großes mediales Echo ausgelöst. Wie hat die Belegschaft auf diesen radikalen Schwenk reagiert?

Die Belegschaft hat zunächst mit Unverständnis reagiert. Viele Mitarbeitende hatten Angst, dass der Chef nun verrückt geworden ist und ihre Arbeitsplätze gefährdet sind. Inzwischen haben aber viele aus dem Team verstanden, dass wir unternehmerische Lösungen für das Insektensterben brauchen und manche sind sogar stolz, bei einem Pionier dafür zu arbeiten.

Ihr erklärtes Ziel ist es, Ihre Branche zu revolutionieren. Sehen Sie Erfolge?

Teils, teils. Der Markt reagierte lange nicht auf das von uns entwickelte Gütezeichen „Insect Respect“. Das Siegel steht für eine ökologisch ausgeglichene Insektenbekämpfung: Auf Produkten garantiert es, dass ein insektenfreundlicher Lebensraum zur Förderung der Biodiversität angelegt wurde. Inzwischen konnten wir große Kunden wie dm, Rossmann und ALDI für Insect Respect gewinnen und immer mehr – auch branchenfremde – Unternehmen begrünen ihre Firmengelände mit uns für die Insekten und Biodiversität. Wir erhalten viele Auszeichnungen für Nachhaltigkeit, Kooperation und Innovation. In der Branche bin ich jedoch nach wie vor das schwarze beziehungsweise grüne Schaf, das ungern zu Veranstaltungen eingeladen wird.

Ökonomisch geht Ihre Strategie noch nicht auf: Sie haben seit 2015 rund 25 Prozent Ihres Umsatzes und 75 Prozent Ihrer Rendite verloren. Das dürfte potenzielle Nachahmer eher abschrecken. Wie argumentieren Sie?

Wir haben momentan einen Ressourcenverbrauch von drei Erden und gehen mit Umwelt und Menschen einfach nicht nachhaltig um. Wie lange soll das noch gutgehen? Finanzielle Rendite kann nicht mehr die einzige Zielkennzahl sein. Mir geht es darum, mit Sinnvollem Geld zu verdienen. Und ich kann die Branche von innen heraus viel besser verändern. Das meine ich, wenn ich in meinem Buch „Fliegen lassen“ sage, die Wirtschaft muss radikal und konsequent neu wirtschaften.

Wie wollen Sie Ihren Umsatz steigern?

Wir transformieren das Geschäftsmodell: Vom Hersteller chemischer Produkte zum Anbieter ökologischer Dienstleistungen. Diese Umweltservices sollen anteilig nach oben gehen: Wir generieren unseren Umsatz künftig verstärkt über die Beratung und Anlage von insektenfreundlichen Lebensräumen. Mit Veranstaltungen und Publikationen fördern wir die Bewusstseinsbildung für den Wert von Insekten und wir bieten Ausgleichsleistungen für Insektenverluste an.

Würden Sie den Umbruch, den Ihr Unternehmen durchläuft, trotzdem als Chance bezeichnen, auch wenn der wirtschaftliche Erfolg noch nicht da ist?

Ein Weiter-wie-bisher hätte uns auf Dauer nicht erfolgreich bleiben lassen. Das sickert langsam auch in der Branche durch. Der Wandel ist mit Blick auf das Insektensterben und den völlig übersättigten Markt nur folgerichtig. Für mich persönlich ist es ein Erfolg, weil mir meine Arbeit jetzt Spaß macht und sinnvoll erscheint. Wenn das auch andere inspiriert, umso besser.

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BUCHTIPP

Hans-Dietrich Reckhaus
Fliegen lassen – ein Buch, das zeigt, wie ein einzelnes Unternehmen eine ganze Branche revolutionieren kann. Eine Inspiration für nachhaltiges Wirtschaften und unternehmerische Verantwortung. Ermöglicht durch die Komplizenschaft mit der Kunst.

Fliegen lassen
Wie man radikal und konsequent neu wirtschaftet
180 Seiten, Softcover
ISBN: 978-3-86774-663-2
20,00 € (D)
20,50 € (A)
E-Book 11,99 €
Herbst 2020, Murmann Verlag

Nicole Pollakowsky

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