Selbstmanagement & Wellbeing

Resilienz: Lernen und Wachsen in der Krise

Foto: Adobe Stock
Ob wir an einem Schicksalsschlag zerbrechen oder psychisch unbeschadet und sogar stärker aus einer Krise hervorgehen, gilt als Frage der persönlichen Resilienz. Doch worin besteht das Erfolgsgeheimnis resilienter Menschen und wie können wir unsere psychischen Abwehrkräfte gezielt stärken? Die Resilienzforschung liefert Antworten.

Lufthansa-Pilot Jürgen Vietor ist Mitte 30, als Terroristen im Oktober 1977 sein Flugzeug kapern: Die Entführer erschießen seinen Kollegen, ein Schicksal, dem er selbst nur knapp entgeht. Er überlebt eine nahezu aussichtslose Notlandung in Afrika und wird in letzter Minute durch die GSG 9 befreit – gefesselt und mit Benzin übergossen, weil die Terroristen die Maschine mit 264 Geiseln an Bord in die Luft sprengen wollen. Vorruhestand, Jobwechsel oder Therapie? Fehlanzeige: Wenige Wochen nach dem traumatischen Erlebnis sitzt der Co-Pilot der „Landshut“ bereits wieder im Cockpit und übt seinen geliebten Beruf noch mehr als 20 Jahre lang aus.

Vorbeugen statt heilen

Für den Hirnforscher Raffael Kalisch ist Vietor ein Paradebeispiel für erfolgreiche Krisenbewältigung. Kalisch ist Professor für Bildgebung des menschlichen Gehirns an der Universität Mainz und am Leibniz-Institut für Resilienzforschung und befasst sich seit vielen Jahren mit psychischer Gesundheit und Resilienz. Für den Medi­ziner ein wichtiges Thema: Studien zufolge leiden rund 30 Prozent der euro­päischen Bevölkerung unter stressbedingten psy­chischen Erkrankungen wie Depression, Angst oder posttraumatische Belastungsstörung. Neben dem persönlichen Leid sind hohe gesellschaftliche Kosten damit verbunden, beispielsweise für lange Therapien oder Arbeitsausfälle. Den seit Jahrzehnten anhaltend hohen Fallzahlen versucht die Resilienzforschung mit einem neueren prophylaktischen Ansatz beizukommen: „Anstatt zu fragen, was Menschen krank macht, fragen wir, was Menschen trotz Belastung gesund erhält und wie man solche Schutzfaktoren und Schutzmechanismen für die bessere Vorbeugung stressbedingter Erkrankungen nutzen kann“, erklärt Kalisch.

Resilienz ist für ihn keine statische Eigenschaft, sondern das Ergebnis eines dynamischen Anpassungsprozesses, in dem wir lernen, erfolgreich mit Herausforderungen umzugehen. „Vereinfacht gesagt, resultiert Resilienz aus Stressoptimierung“, so Kalisch. Stressreaktionen wie Angst oder Wut seien tief im Unterbewusstsein verankerte Schutzmechanismen, mit denen wir instinktiv auf Gefahrensignale, sogenannte Stressoren, rea­gieren. Antworten wir allerdings unnötig oft auf harmlose Reize mit Stress, verschleißen wir unsere Kräfte und riskieren unsere Gesundheit.

Hirnforscher Raffael Kalisch
Hirnforscher Raffael Kalisch; Foto: Andrea Schombara

Bloß kein falscher Alarm

„Statt überall Katastrophen zu wittern, neigen resiliente Menschen wie Jürgen Vietor im Zweifelsfall eher zu einer positiven Bewertung der Lage“, erklärt der Hirnforscher, der den Lufthansa-Piloten persönlich befragt hat. Vietor ging fest davon aus, kein zweites Mal Opfer einer Flugzeugentführung zu werden, auch wenn es statistisch dafür keine Grundlage gibt. Sein positiver Umgang mit Ungewissheit ermöglichte es ihm, sich traumaassoziierten Reizen wie dem Cockpit der „Landshut“ oder Fluggeräuschen bereits nach einer kurzen Erholungspause wieder zu stellen. Dabei lernte er schnell, vermeintliche Gefahren­signale wieder als normal und sicher zu bewerten. Diese Strategie des Auslöschens von unnötigen Stressoren wird in der Neuro­wissenschaft als Extinktion bezeichnet. Wer sie einmal erfolgreich angewendet habe, steigere dauerhaft die eigene Resi­lienz, vermutet Kalisch. So auch Vietor: Eine in späteren Jahren entwickelte Höhenangst überwand der begeisterte Flieger erfolgreich mit derselben Methode: Er überquerte hohe Autobahnbrücken und unternahm steile Bergwanderungen, bis der Stressfaktor Höhe neutralisiert war.

Bleibt die Frage, wie viel von dem Co-Piloten in uns allen steckt. Ein Stück weit seien hilfreiche Persönlichkeitsmerkmale wie Optimismus und Selbstwirksamkeit (also der Glaube an die eigenen Kräfte und Fähigkeiten) zwar genetisch und durch frühkindliche Erfahrungen geprägt, doch sei unser Gehirn ein plastisches Organ, so das ermutigende Fazit von Kalisch: „Die Schaltkreise verändern sich, wenn sie benutzt werden. Durch Übungen werden sie effizienter.“

„Trainieren Sie den Perspektivwechsel“

Werner Greve ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Hildesheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Entwicklung des Selbst über die Lebensspanne und der Umgang mit Lebenswenden.

Professor Werner Greve, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Hildesheim
Professor Werner Greve, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Hildesheim; Foto: privat

In Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit gilt Resilienz als wichtiger Soft Skill – was genau steckt eigentlich hinter diesem Begriff?

Über die Antwort wird in der Fachwelt seit über 70 Jahren diskutiert. Früher hat man Resilienz eher als statische Eigenschaft gesehen, die manche haben und andere nicht. Mittlerweile versteht man darunter eher ein Bündel von internen und externen Schutzfaktoren. Dazu zählen beispielsweise Persönlichkeitsmerkmale wie Humor, Optimismus oder Selbstvertrauen, aber auch soziale Kontakte, insbesondere eine Person, die in jeder Situation fest zu einem hält, bildhaft gesprochen die liebevolle Oma.

Als selbstbewusster Optimist mit einer liebevollen Oma bin ich also für jede Krisensituation gewappnet?

Nicht ganz, denn je nach Herausforderung kann jede einzelne dieser Ressourcen positiv oder negativ wirken. Eine starke Selbstwirksamkeit, also der feste Glaube an sich selbst („Ich komm schon klar“), kann beispielsweise zum Problem werden, wenn Sie eine Krise tatsächlich nicht allein bewältigen können und besser Hilfe annehmen sollten. Ich persönlich definiere Resilienz deshalb als eine situationsabhängige Konstellation von inneren und äußeren Ressourcen, passend für die jeweilige Herausforderung.

Es gibt also kein Patentrezept für Resilienz?

Nein, die eine, universale Resilienz gibt es aus meiner Sicht nicht. Sie können aber daran arbeiten, dass möglichst oft die passende Resilienzkonstellation für Sie eintritt. Ich nenne das Ressourcen für Ressourcen schaffen.

Was muss ich dafür tun?

Meine wichtigste Empfehlung lautet: Trainieren Sie den Perspektivwechsel. Ich kann belastende Umstände oder Krisen wie eine schwere Krankheit, den Verlust eines geliebten Menschen oder eine Kündigung zwar nicht wegdiskutieren. Ich rate auch gar nicht dazu, sich alles schönzureden oder negative Aspekte zu ignorieren. Aber ich kann meine Sicht auf die Dinge verbreitern. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist privat und beruflich ein nützlicher Soft Skill. Sie können und sollten sie täglich im Alltag trainieren.

Haben Sie dafür Beispiele?

Eine schwere Krankheit kann mir zum Beispiel zeigen, wie sehr ich von meiner Familie geliebt werde oder wie viel ich meinen besten Freunden bedeute. Daraus lässt sich Kraft schöpfen. Wenn Sie Ihr aufbrausender Chef oder ein intriganter Kollege stresst, denken Sie daran, dass irgendjemand auf der Welt diese Person liebt. Versuchen Sie, sich die liebenswerten Seiten vorzustellen, um Stress abzubauen. Das funktioniert auch mit einem langweiligen Seminar. Statt sich über die vergeudete Zeit zu ärgern, machen Sie eine sportliche Herausforderung daraus, bei jeder Sitzung den einen gut versteckten positiven Aspekt zu finden. So wird die Sache spannend und das Zuhören fällt leichter.

Klingt plausibel, aber hilft das auch, wenn es wirklich knüppeldick kommt?

Je nach Krise braucht ein Perspektivwechsel mehr oder weniger viel Zeit. Nehmen Sie sich diese Zeit, haben Sie Geduld mit sich selbst. Wir lernen ein Leben lang aus unseren Erfahrungen. Meine Forschungsarbeit mit älteren Menschen zeigt beispielsweise, dass nur wenige depressiv werden, obwohl sich im Alter die Verluste häufen. Die Jahre lehren uns, dass man mehr als eine Sichtweise auf die Dinge haben kann. Denken Sie an Ihre erste gescheiterte Liebe. Wahrscheinlich wären Sie bei einem Wiedersehen nach 20 Jahren froh, dass Sie heute nicht verheiratet sind, auch wenn damals die Welt untergegangen ist.

Apropos Liebe: Gehört Beziehungspflege zum persönlichen Resilienzprogramm?

Ich würde nicht sagen, dass Sie Freundschaften oder Ihre Partnerschaft nur deshalb pflegen sollten, um in Krisenzeiten resilienter zu sein. Ich wähle eher den umgekehrten Ansatz und versuche, aufmerksam für Probleme und Notsignale aus meinem Umfeld zu bleiben. Wenn ich bemerke, dass mein Kollege seit Tagen eine Sorgenfalte auf der Stirn hat und darauf mit einer netten Geste eingehe, bin ich vielleicht Teil seiner Resilienzkonstellation geworden.

Zur Website: https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/psychologie/mitglieder/professor-innen/werner-greve/

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BUCHTIPP

Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch.
Wie wir Krisen erleben und bewältigen,

2020 im Piper Verlag erschienen,
ISBN 978-3-492-24263-9

Kirstin von Elm

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