Menschen & Meinungen

Brennen, ohne zu verbrennen

Vor Ort sein im Katastrophenfall – das bedeutet Arbeiten in Extremsituationen. Wie halten Einsatzkräfte diesem psychischen und physischen Stress stand, ohne selbst zu zerbrechen? Eine Krankenschwester der Ärzte ohne Grenzen und eine Mitarbeiterin der Notfallseelsorge erzählen.

Karin Hergarden hat als Krankenschwester in Somalia gearbeitet. Bis heute sind Teile des Landes in den Händen von Piraten, lokalen Clans oder radikal-islamistischen Gruppen. „Dort waren Krieg, Epidemien und Unterernährung an der Tagesordnung. Es gab keine funktionierende Infrastruktur und kein Gesundheitssystem. Eines der wenigen funktionierenden Krankenhäuser hat Ärzte ohne Grenzen südlich von Mogadischu aufrechterhalten“, erinnert sie sich. „Ich war für die Hauptapotheke des 250-Betten-Krankenhauses verantwortlich. Wenn es Schießereien gegeben hatte, wurde jede helfende Hand in der Notfallaufnahme gebraucht.“

Karin Hergarden, Krankenschwester bei Ärzte ohne Grenzen

Gewalt und Seuchen als Arbeitsalltag – was motiviert Karin Hergarden dennoch zum Weitermachen? „Unser Krankenhaus war für die Bevölkerung in dieser Gegend die einzige Möglichkeit, trotz der schwierigen Sicherheitslage medizinische Hilfe zu erhalten“, antwortet Hergarden. „Wenn man sieht, wie hilfreich eine solche Arbeit sein kann, weil Masern oder Unterernährung früh entdeckt wurden und deshalb schnell reagiert werden konnte, ist das schon ein sehr befriedigendes Gefühl für alle Beteiligten.“

Psychosoziale erste Hilfe vor Ort

Daniela Götz wird von der Feuerwehr gerufen. Zwei Arbeiter sind durchs Dach eines Hauses in den Tod gestürzt. Direkt vor den Augen des Auszubildenden, der unter Schock steht. „Erst mal ist jedoch nicht Tun das Wichtigste, sondern Zuhören“, sagt Götz, die bei der Notfallseelsorge psychosoziale erste Hilfe leistet. „Die Menschen müssen in der Situation, in die sie hineingeworfen wurden, das loswerden können, was ihnen durch den Kopf geht.“

Daniela Götz, Schulleiterin a.D. und Notfallseelsorgerin

Die Notfallseelsorgenden sind im Zweierteam unterwegs. „Unser Einsatz dauert in der Regel zwischen 1,5 und vier Stunden“, berichtet Götz. „Manche der Menschen, die wir begleiten, finden schnell zurück ins Leben. Das kann man daran erkennen, wie sie nach dem ersten Schock reagieren: Ein Familienmitglied oder jemanden aus dem Freundeskreis anrufen, der sie abholt. Oder doch ins Krankenhaus gehen.“

Wie eine Uniformjacke helfen kann

Wie können sich Daniela Götz und Karin Hergarden ihren herausfordernden Aufgaben stellen, ohne selbst auszubrennen? „Mir hilft, dass ich vor Ort eine Art Uniform – die Jacke für die Mitarbeitenden der Notfallseelsorge – trage, die ich nach dem Einsatz wieder ablege. Alle sechs Wochen haben wir Supervisionen in der Gruppe und können auch eigene Extratermine vereinbaren“, sagt Götz.

Auch Hergarden konnte auf Unterstützung zurückgreifen: „Das Team, mit dem ich in Somalia gearbeitet habe, hat vor Ort psychologische Hilfe erhalten.“ Darüber hinaus seien das deutsche Büro von Ärzte ohne Grenzen und Freunde, die auch schon in Krisengebieten gearbeitet haben, immer eine große Hilfe gewesen, so Hergarden.

Engagement, Offenheit und Sinn

Um dem Druck standzuhalten, reicht externe Unterstützung allein jedoch nicht aus. Es braucht auch entsprechende Persönlichkeitsmerkmale und soziale Kompetenzen, wie die Krankenschwester Hergarden erklärt: „Man muss motiviert und engagiert sein und sollte ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein mitbringen. Wer mitarbeiten will, sollte flexibel sein, sich schnell auf neue Situationen einstellen können, neugierig und offen für andere Kulturen sein“, so ihre Überzeugung. „Ansonsten glaube ich, dass Lebenserfahrung und eine gewisse Bodenständigkeit wichtig sind.“ Für Daniela Götz, die Schulleiterin an einer Realschule in Mannheim war, ist ihre Tätigkeit in der Notfallseelsorge auch Teil der gesellschaftlichen Verantwortung, die sie übernehmen will: „Mir war klar, dass ich im Ruhestand weiterarbeiten möchte. Ich sehe es als Sinn und Verpflichtung, anderen beizustehen.“

Ärzte ohne Grenzen, „Médecins sans frontières“
wurde 1971 in Paris gegründet. Die ersten Mitglieder kamen aus der Ärzteschaft und dem Journalismus. Seit 50 Jahren leistet die Organisation humanitäre, medizinische, logistische und technische Hilfe weltweit und bezieht Stellung zu Missständen in den Ländern ihrer Einsätze.
www.aerzte-ohne-grenzen.de

 

Notfallseelsorge, d. h. psychosoziale und seelsorgerliche Krisenintervention, wird vor allem von Kirche und Stiftungen gestellt. Die Einsatzkräfte der Notfallseelsorge unterstützen Opfer, Angehörige und Beteiligte von Notfällen direkt am Ort des Geschehens. Die Alarmierung der Notfallseelsorge erfolgt zumeist über die Leitstellen der Feuerwehr oder Polizei.
notfallseelsorge.de

Susanne Jung

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