Menschen & Meinungen

In 80 Tagen um die Welt

46.000 Kilometer allein im Segelboot um die Welt: Die Hochseeregatta Vendée Globe gilt nicht nur als härtestes Segelrennen der Welt, sondern auch als eine der größten sportlichen Herausforderungen auf diesem Planeten. Profi-Segler Boris Herrmann hat 2020/2021 als erster Deutscher erfolgreich daran teilgenommen. Einmal und nie wieder?

Mitte Dezember, mitten im Indischen Ozean und mitten im Rennen seines Lebens ist die Stimmung bei Boris Herrmann am Tiefpunkt. Seit Tagen brettert sein Schiff über eine unbarmherzige Buckelpiste. Unberechenbare Wellen beschleunigen die Seaexplorer auf mehr als 50 km/h, um sie gleich darauf abrupt wieder abzustoppen. Um nicht wild herumgeschleudert zu werden, hat sich der Skipper mit dem Rücken zur Fahrtrichtung im Cockpit festgekeilt. Er ist müde und friert, doch an Schlaf ist nicht zu denken. Der ohrenbetäubende Lärm, die heftigen Stöße und die Angst um sein Boot halten ihn wach.

Dabei ist Boris Herrmann eigentlich bestens mit dem Meer vertraut. Der 40-Jährige segelt seit frühester Kindheit. Mit 19 bestreitet er als jüngster Teilnehmer seine erste Transatlantikregatta. Seit 2008 nimmt er als Profi an internationalen Hochseeregatten teil. Rund ein Drittel des Jahres verbringt der Segelsportler auf dem Meer. Doch noch nie war er so lange auf sich allein gestellt wie bei seiner ersten Vendée Globe. Rund fünf Wochen liegen zu diesem Zeitpunkt hinter ihm, mehr als die Hälfte der Strecke noch vor ihm.

Die Einsamkeit setzt ihm mehr zu als erwartet. In einer langen Sprachnachricht an sein Team brechen sich Frust und Erschöpfung an diesem Tag ihre Bahn: „Die anderen Weltumsegelungen waren auch heftig. Aber da waren immer die Kameraden, der Blick ins Gesicht des anderen, die Chance jemanden zu fragen: Sollen wir das Segel wechseln? Wie findest du den Wetterbericht? Soll ich dir was zu essen bringen? Aber hier ist einfach niemand. Dieses Alleinsein macht mich mürbe.“

Mount Everest für Segler

Einmal an der Vendée Globe teilzunehmen, ist für viele Seglerinnen und Segler ein Lebenstraum – auch für Boris Herrmann. Seit 1989 findet das Wettsegeln um die Welt alle vier Jahre statt. Start und Ziel ist Les Sables-d’Olonne an der französischen Atlantikküste. Von hier führt die Route hinunter ins Südpolarmeer und dann in östlicher Richtung einmal um die Erde. Vorbei an Südafrika, Australien und Kap Horn geht es zurück in den Atlantik und nach Hause. Mit einer Distanz von mehr als 46.000 Kilometern ist diese Hochseeregatta das längste Rennen der Welt und eine der größten sportlichen Herausforderungen, die der Planet zu bieten hat. Viele vergleichen sie mit der Besteigung des Mount Everest – mit einem gravierenden Unterschied. Auf dem Mount Everest ist man nicht drei Monate lang allein.

Boris Herrmann ist seit seiner Jugend von der Vendée Globe fasziniert. Der 40-jährige Profi-Segler bezeichnet sich selbst als Perfektionisten. Auf die Weltumseglung hat er sich und sein Boot zwei Jahre lang akribisch vorbereitet.

„Bitte erinnert mich daran, das nie wieder zu machen. Es ist wichtig, einmal dabei gewesen zu sein. Und es wäre großartig, ins Ziel zu kommen. Das reicht.“

Boris Herrmann

In kleinen Schritten zum Ziel

Mehr als 4.000 Menschen haben den höchsten Berg der Welt erfolgreich bezwungen. Die Vendée Globe haben bis heute dagegen gerade einmal 114 Männer und Frauen vollendet. Einer davon ist jetzt Boris Herrmann. Am 28. Januar 2021 überquert er nach 80 Tagen, 20 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden die Ziellinie – fünfter Platz für den ersten deutschen Teilnehmer. Nur der Zusammenstoß mit einem Fischkutter kurz vor dem Ziel verhindert, dass Boris Herrmann gleich bei seiner ersten Einhand-Weltumsegelung auf dem Podium landet.

Ans Ziel gekommen ist er nicht nur dank langjähriger Erfahrung und akribischer Vorbereitung. Sondern auch deshalb, weil er es unterwegs immer wieder geschafft hat, sich selbst zu motivieren und die gigantische Entfernung Schritt für Schritt hinter sich zu bringen. Dabei geholfen haben ihm selbstauferlegte Regeln und Bordroutinen, beispielsweise sich jeden Tag bewusst über etwas Positives zu freuen oder auf der Seekarte stets nur einen kleinen, schnell zu bewältigenden Abschnitt zu betrachten. Statt in dunklen Momenten seinen negativen Emotionen nachzugeben, hat er sich in allen Details den Glücksmoment ausgemalt, wo er von jubelnden Menschen im Ziel empfangen wird und seine Frau und seine kleine Tochter in die Arme schließt.

Dieser Moment liegt inzwischen hinter ihm. Und jetzt? „Einmal und nie wieder“, hat Boris Herrmann seinem Team während der Regatta mehrfach geschrieben. Dass er sich nicht daran halten wird, hat er unterwegs selbst schon geahnt. Denn wie alle leidenschaftlichen Sportlerinnen und Sportler liebt er das Gefühl, persönliche Grenzen immer wieder aufs Neue auszuloten. 2024 wird er mit einem neuen Boot zur nächsten Vendée Globe antreten. Der Streckenrekord aus dem Jahr 2016 liegt bei 74 Tagen, Boris hat 2021 fast eine Woche länger gebraucht. Auch sein fünfter Platz motiviert ihn, sich erneut allein den Herausforderungen im Südpolarmeer zu stellen: „Da hat man die Chance, sich noch zu verbessern.“

Auch wenn er auf diesem Bild lacht, ist Hochseesegeln oft Schwerstarbeit. Mit der schwarzen Kurbel, „Grinder“ genannt, werden die riesigen Segel gesetzt und passend zum Wind eingestellt („getrimmt“). Auch die hydraulischen Tragflächen am Rumpf seines Bootes fährt Boris Herrmann damit ein und aus.

„Willenskraft lässt sich trainieren“

Professor Jens Kleinert, Leiter der Psychologischen Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln

Professor Jens Kleinert, Leiter des Psychologischen Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln, über Motivation und Selbstkontrolle im Leistungssport.

Herr Professor Kleinert, viele Menschen treiben Sport, doch nur wenige werden Weltmeister oder Olympiasieger. Was treibt Spitzenkräfte zur Höchstleistung?

Erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler verfügen über eine sehr hohe intrinsische, also im Tun liegende Motivation. Nur wer leidenschaftlich an der Sache selbst interessiert ist, hält das harte Training und die Entbehrungen durch, die mit sportlichen Höchstleistungen stets verbunden sind.


Spitzensportlerinnen und -sportler sind also erfolgreich, weil sie ihren Sport lieben?

Ja. Sie genießen ihr eigenes Handeln und das Erlebnis, die eigenen Grenzen immer wieder auszuloten und zu verschieben. Auch das Gefühl von Autonomie und Selbstbestimmung wirkt motivierend. Also das Bewusstsein, genau das zu tun, was man am meisten liebt.


Wie motivierend sind Ruhm, Geld oder sozialer Status?

Solche extrinsischen, also am Ergebnis orientierten Motivationsfaktoren können den inneren Antrieb noch verstärken. Und zwar umso wirkungsvoller, je mehr ich selbst an der jeweiligen Konsequenz interessiert bin. Wer beispielsweise unbedingt eine Goldmedaille für sein oder ihr Land erringen möchte, dem nützt viel Geld nichts als Ansporn – und umgekehrt.


Ist der Olympiasieg für talentierte Sportlerinnen und Sportler eine reine Frage der Motivation?

Nein, Motivation allein genügt nicht. Absolute Topkräfte verfügen außerdem über ein außergewöhnliches Maß an Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen, also Willenskraft. Ähnlich wie Ausdauer, Kraft oder Technik lässt sich übrigens auch der Wille ein Stück weit trainieren.


Wie stärke ich denn meine Willenskraft?

Sehr hilfreich sind Routinen. Athletinnen und Athleten haben in der Regel genau getaktete Tages- und Wochenpläne, die sie konsequent befolgen. Durch Selbstverpflichtungen kann ich ebenfalls förderlichen Druck erzeugen, beispielsweise durch eine fest gebuchte Trainerstunde oder indem ich anderen von meinen Zielen erzähle. Bei Lustlosigkeit oder Selbstzweifeln hilft es, den ersehnten Erfolgsmoment so bildhaft wie möglich im Kopf durchzuspielen, um positive Emotionen zu erzeugen.

Das Buch zur Vendée Globe:

Boris Hermann mit Andreas Wolfers: „Allein zwischen Himmel und Meer“, C. Bertelsmann, 2021. ISBN: 978-3-570-10454-5

Kirstin von Elm

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