Menschen & Meinungen

Nur noch schnell die Welt retten

Die Erde vor dem Untergang bewahren – dafür ist eigentlich James Bond zuständig, aber leider nur im Kino. In der Realität müssen wir es wohl selbst richten. Bloß wie? Was motiviert Menschen, es mit übermächtigen Gefahren wie Klimakrise und Artensterben aufzunehmen? Und was hilft, um selbst den Hintern hochzukriegen?

Lust auf ein kleines Experiment? Dann lesen Sie bitte den Inhalt der folgenden Zeilen und beobachten Sie Ihre eigene Reaktion:

  • 90 Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion bestehen aus Pflanzen, 71 Prozent von ihnen sind auf die Bestäubung von Bienen angewiesen. Alleine in Deutschland gilt die Hälfte des Wildbienenbestands als gefährdet.
  • Der Juli 2021 war der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ist beim Temperaturanstieg ein bestimmter Kipppunkt erreicht, ist die Erderwärmung nicht mehr umkehrbar.
  • Wenn der Meeresspiegel im gleichen Maße weiter steigt wie bisher, ist in 70 Jahren die Heimat von 200 Millionen Menschen im Meer versunken.

Und: Wie haben Sie reagiert? Panisch? Hektisch? Voller Tatendrang, um gegenzusteuern? Oder vielleicht doch eher unbeeindruckt und leicht genervt? Merken Sie was? Unser Wohlstand ist bedroht, das Leben unserer Kinder und Enkel ist in Gefahr – und wir sind leicht genervt. Ist das nicht paradox?

Für abstrakte Gefahren ist unser Gehirn schlecht ausgestattet

Nicht unbedingt. „Das menschliche Hirn ist für konkrete Gefahren gebaut. Für abstrakte Gefahren und alles, was weit in die Zukunft reicht, sind wir schlecht ausgestattet“, sagt Julia Scharnhorst, die im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen die Arbeitsgruppe Klima und Psychologie leitet. Je unpersönlicher ein Sachverhalt, desto schwieriger sei es, Interesse dafür zu wecken. Besser als Zahlen funktionieren ihr zufolge Geschichten, die ein Thema lebendig und anfassbar machen und zum Handeln motivieren.

Silke Backsen, Biologin und Landwirtin auf der Insel Pellworm

Silke Backsen kann so eine Geschichte erzählen. Die Biologin lebt auf der Nordseeinsel Pellworm, ihre vier Kinder sind auf der Insel aufgewachsen, ihr Ex-Mann bewirtschaftet dort einen landwirtschaftlichen Bio-Betrieb. Vom Klimawandel in Form von Extremwetter und steigendem Meeresspiegel sind die sechs schon heute viel unmittelbarer betroffen als die meisten anderen Menschen hierzulande. 2019 sind die Backsens deshalb einen ungewöhnlichen Schritt gegangen: Sie haben Deutschland verklagt. Ihr Ziel: Die Bundesregierung juristisch dazu zwingen, ihre Klimaziele einzuhalten.

Stärker im Team

Eine spontane Entscheidung sei die Klage nicht gewesen, erzählt Silke Backsen. Der Umgang der Politik mit dem Klimaschutz sei ihnen schon länger ein Dorn im Auge gewesen. „Als dann die Bundesregierung 2018 ihre Klimaziele nochmals verschoben hat, war für uns der Punkt erreicht, wo wir gesagt haben: Jetzt reicht’s aber mal.“ Zusammen mit zwei anderen Landwirtsfamilien aus Niedersachsen und aus Brandenburg und begleitet von der Umweltorganisation Greenpeace zogen sie vor das Berliner Verwaltungsgericht. Alleine, da ist Silke Backsen sicher, hätten sie die David-gegen-Goliath-Aktion nicht gestartet. „Für so etwas braucht man ein Team, gemeinsam ist die Motivation höher“, so ihre Erfahrung.

Julia Scharnhorst, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin

Wenn man mit Herzblut für etwas eintritt, kann man auch andere begeistern.

Julia Scharnhorst, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin

Sich zusammentun, nicht alleine kämpfen – laut Psychologin Julia Scharnhorst sind das entscheidende Faktoren, die nachhaltiges Handeln unterstützen können. So stelle sich eher das Gefühl von Selbstwirksamkeit ein, also die Erkenntnis: Ich selbst kann etwas verändern.

Was hilft: Routinen entwickeln und im Gespräch bleiben. Ein Gefühl, das auch die Pinzler-Wessels aus Berlin beflügelt hat: Ein Jahr lang haben Günther Wessel, Petra Pinzler und ihre beiden Kinder im Teenageralter probiert, CO2-neutral zu leben. Über ihre Erfahrungen und Erfolge haben sie ein Buch geschrieben. „Wir wissen ja, was wir falsch machen“, sagt Günther Wessel zur Motivation für den Selbstversuch. Statt weiter Begründungen und Ausreden für das eigene Verhalten zu suchen, hätten sie versucht, die Dinge anders zu machen und trotzdem gute Kompromisse für den Alltag zu finden. Treibende Kraft seien dabei seine Tochter und sein Sohn gewesen. „Unsere Kinder ziehen uns mit“, so der Journalist und Autor. „Wir lernen ganz viel von ihnen.“ Um rund 30 Prozent hat die Familie ihren ökologischen Fußabdruck binnen eines Jahres reduziert und fast alle Veränderungen seither beibehalten. Fleisch komme nur noch ganz selten auf den Tisch, beide Kinder seien ohnehin Vegetarier, erzählt der Vater. Das Auto ist mittlerweile verkauft. „Wir haben das nicht mehr gebraucht“, so Günther Wessel. Seine Erfahrung: „Sich umzustellen fällt leichter, wenn man Routinen entwickelt. Und es hilft, wenn man immer wieder miteinander darüber redet, was man da tut.“

Günther Wessel, Journalist und Autor

Wir haben alle gemerkt: Individuelles Handeln allein reicht nicht aus.

Günther Wessel, Journalist und Autor

Besser als Angst und Wut: positive Ziele setzen und hartnäckig bleiben

Natürlich braucht es dafür auch viel Energie, und zwar am besten positive. „Angst und Wut sind keine guten Motivatoren“, sagt Psychologin Julia Scharnhorst, denn sie könnten allenfalls den ersten Anstoß für Engagement liefern. „Auf Dauer sind positive Ziele wichtig.“ Das kann Silke Backsen aus Pellworm bestätigen – ihre optimistische Einstellung habe ihr geholfen, aus so manchem Motivationstief wieder herauszukommen. „Ich bin wie ein Flummi, der manchmal auch nervt“, sagt sie über sich selbst. „Aber wenn man mit Herzblut für etwas eintritt, kann man auch andere begeistern.“ Wichtig sei dabei, viele Gespräche zu führen, zuzuhören und andere Blickwinkel zu verstehen. Der Fall der Backsens zeigt außerdem: Es lohnt sich, hartnäckig zu bleiben. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag der Landwirtinnen und -wirte zwar ab. Doch ihre Kinder gaben nicht auf: Die Jugendlichen reichten Verfassungsbeschwerde ein gegen das deutsche Klimaschutzgesetz von 2020, das ihnen nicht weit genug ging. Dieses Mal mit Erfolg: Im April 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig. Nun muss nachgebessert werden.

Verzweiflung löst keine Probleme: einfach anfangen und weitermachen

Aber nicht alle haben Lust, gegen einen Goliath anzutreten. Und es muss auch nicht immer gleich das ganz große Rad gedreht werden. „Es helfen schon ganz kleine Schritte: wählen gehen, Petitionen unterschreiben, mal bei einer Demo mitlaufen. Das motiviert, man fühlt sich nicht mehr so allein“, rät Psychologin Julia Scharnhorst. Die Pinzler-Wessels haben die Erfahrungen ihres CO2-Selbstversuchs zum Weitermachen motiviert. „Wir haben alle vier gemerkt: Individuelles Handeln allein reicht nicht aus“, sagt Günther Wessel. Während er und Petra Pinzler sich publizistisch mit den Themen Klima- und Umweltpolitik befassen, engagiert sich Tochter Franziska inzwischen politisch: Die 17-Jährige ist eine der Hauptorganisatorinnen der Fridays-for-Future-Bewegung in Berlin.

Einfach anfangen und weitermachen – das rät auch Dirk Steffens. Der omnipräsente Dokumentarfilmer setzt sich auf allen Kanälen für den Arten- und Umweltschutz ein. Im „Sommergespräch“ mit Eckart von Hirschhausen auf dessen YouTube-Kanal räumte Steffens ein, dass er ab und zu den Wunsch verspüre, radikaler zu werden, angesichts der Ökokrise, deren Fortschreiten er seit 30 Jahren als Naturfilmer hautnah miterlebt. Aber er findet: „Radikale Menschen schaffen nur stärkere Ablehnung und stärkere Opposition.“ Sich selbst hat Steffens stattdessen zum Optimismus verpflichtet, wie er in dem Gespräch mit Hirschhausen erklärt. „Man verzweifelt oft, wenn man sieht, wie wenig man als Einzelner tun kann und wie groß das Problem ist“, sagt er. „Aber Verzweiflung löst keine Probleme, sondern lässt uns nur tatenlos und resigniert stehen bleiben. Optimisten lösen wenigstens ab und zu mal ein Problem.“

BUCHTIPP

Das Buch von Günther Wessel und Petra Pinzler über ihre Erfahrungen und Erfolge ist im Verlag Droemer erschienen und hat 336 Seiten.

ISBN 978-3-426-30273-6

Nicole Pollakowsky

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