Unternehmen & Märkte

Wenn Gewinn nicht alles ist

Profit und gesellschaftliche Verantwortung müssen sich nicht ausschließen, wie engagierte Unternehmen zeigen.

Taschen, Schuhe, Accessoires – auf den ersten Blick mag der Online-Shop der Berliner Abury Collection GmbH ähnliche Produkte anbieten wie viele andere. Doch Abury ist anders: Die Produkte werden von Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerkern in Ländern wie Ecuador, Indien oder Marokko gefertigt. Die Hälfte des Gewinns reinvestiert Abury in soziale Projekte in diesen Ländern – etwa in die Alphabetisierung von Frauen oder in die Förderung des Kunsthandwerks. Auslöser für die Geschäftsidee der Gründerin Andrea Bury waren ihre Erfahrungen in den Nullerjahren während eines Aufenthalts in Marokko: „Es gab dort sehr beeindruckendes Kunsthandwerk, aber dieses kulturelle Kapital wurde weder vor Ort noch in der Welt wertgeschätzt.“ Das wollte sie unternehmerisch ändern, doch die Startfinanzierung war schwierig. „Man bekommt viel leichter Geld für technologische Innovationen, die zu mehr Nachhaltigkeit führen, als für soziale Innovationen“, so ihre Erfahrung. Eigenkapital, Freundeskreis, Familie und ein Crowdfunding ermöglichten letztlich den Start. „Abury ist seitdem organisch gewachsen und erwirtschaftet einen Umsatz im sechsstelligen Bereich.“ Die Reinvestition des halben Gewinns erfolgt über eine eigens gegründete Stiftung. „Inzwischen wurden unsere Taschen schon von Schauspielerinnen getragen“, so Bury. „Wenn wir den Menschen in unseren Partnerländern Zeitungsausschnitte davon zeigen, stärkt das deren Selbstwertgefühl zusätzlich.“

Es ist eine noch kleine, aber wachsende Zahl von Unternehmerinnen und Unternehmern, für die Gewinnstreben nicht das alleinige Ziel ist. Vielmehr wollen sie im besten Sinne auch Gutes tun, der Gesellschaft etwas zurückgeben. Spekulative Gewinne der Investoren sind verpönt. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Bewegung ist der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, der 1993 in Bangladesch die Grameen Bank gründete. Sie vergibt Mikrokredite an einkommensschwache Menschen, die oft nur sehr wenig Unterstützung brauchen, um wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

Gewinn und Nachhaltigkeit vereinbaren

Viola Gerlach, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, hält es für wichtig, dass Unternehmen Gewinn und Nachhaltigkeit in Zukunft vereinbaren. „Innovative Führungskräfte bauen mit ihren Teams eine neue Art von Unternehmenskultur auf, die finanziellen Erfolg und höchste soziale und ökologische Standards gleichberechtigt zum Ziel hat.“ Die promovierte Soziologin hat in den vergangenen 15 Jahren in verschiedenen Ländern Nachhaltigkeitsdialoge zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft moderiert. Das Problem sei oft die konkrete gemeinsame Umsetzung der Ideen gewesen. „Als wirkungsvoll erweisen sich dagegen einzelne unternehmerische Persönlichkeiten, die aufgrund der eigenen Werte Gewinn und Sinn miteinander verbinden.“

Ein Beispiel dafür ist auch Christian Kroll, der Gründer der ökologischen Suchmaschine Ecosia. Das 2009 entstandene Berliner Unternehmen spendet 80 Prozent des Gewinns an Naturschutzorganisationen, die Regenwälder aufforsten. Ecosia ist eine Meta-Suchmaschine, derzeit nutzt sie für die Suche die Ergebnisse von Bing. Die Einnahmen des Unternehmens stammen aus Werbeerlösen. Kroll hat 99 Prozent des GmbH-Kapitals und ein Prozent der Stimmrechte an eine Zweckstiftung übertragen. Die Stiftung kann einen Verkauf oder eine Gewinnmitnahme verhindern, der oder die nicht im Sinne der Gründungsidee wäre. Kroll hat BWL studiert, bekam allerdings schon während des Studiums Zweifel, ob das dort etablierte klassische Denken seine Berufung ist. Bei späteren Aufenthalten in Nepal und Südamerika erlebte er dann die sozialen und ökologischen Probleme aus erster Hand. So entstand seine Idee einer nachhaltigen Suchmaschine.

Kein Sozialunternehmen im engeren Sinne, aber ebenfalls ein Unternehmen, dessen Ziele sich nicht nur an der Rendite orientieren, ist die GLS Gemeinschaftsbank mit Sitz in Bochum. Sie verbindet den Genossenschaftsgedanken mit der Finanzierung von nachhaltigen oder sozialen Projekten. „Wir haben schon in den Achtzigern Windräder finanziert, als dafür sonst niemand Kapital zur Verfügung stellen wollte“, nennt Pressesprecherin Nora Schareika ein Beispiel. Die Bank macht auch transparent, welche Art von Aktivitäten sie nicht finanziert – die Herstellung von Alkohol etwa oder grüne Gentechnik oder Kinderarbeit. „Sich so zu beschränken, war für uns nie nachteilig“, sagt Schareika. „Im Gegenteil, unser rasantes Wachstum fordert uns eher heraus.“ Die Bank hat inzwischen eine Bilanzsumme von neun Milliarden Euro. Ab 2023 will sie ihr Anlage- und Kreditgeschäft mit dem 1,5-Grad-Ziel dauerhaft in Einklang gebracht haben. Eine weitere Herausforderung sei es, da nun alle nachhaltig werden wollten, die eigene Wirkung präzise zu erfassen und noch transparenter zu machen. „Denn wir wollen ja Vorreiter bleiben“, so Schareika.

Die Gemeinwohlökonomie

Es hört sich wie eine Utopie an. Auf jeden Fall ist es ein Ansatz, der polarisiert. Die Rede ist von der Gemeinwohlökonomie, eine im deutschsprachigen Raum entstandene Wirtschaftsreformbewegung. Danach stehen Gemeinwohl und Kooperation im wirtschaftlichen Denken und Handeln an erster Stelle, nicht der Gewinn.

Einzelpersonen, Unternehmen und die öffentliche Hand sollen ihr Streben nicht an konventionellen Handelsbilanzen ausrichten, sondern an einer viel breiteren Wertebasis. In eine solche Gemeinwohlbilanz fließen Werte wie ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde, Solidarität und Partizipationsmöglichkeiten ein. Weltweit gibt es eine hohe dreistellige Zahl von Unternehmen, die so bilanzieren.

Das bekannteste Aushängeschild der Bewegung dürfte der in Salzburg geborene Christian Felber sein. In seinem Buch „Gemeinwohlökonomie“ formuliert er das Ziel „der neuen Wirtschaftstheorie“: „Sie will die Praxis des Wirtschaftens ändern, und sie möchte den passenden Rechtsrahmen schaffen, damit ethische und umfassend verantwortungsvolle Wirtschaftsakteure und -tätigkeiten nachhaltig reüssieren können.“ Schließlich habe es zu allen Zeiten und in allen Kulturen die Überzeugung gegeben, dass die Wirtschaft nur ein Mittel sei, das „höheren Werten verpflichtet“ sei.

Felber erntete für seine Thesen Zustimmung, aber auch Widerspruch. Zustimmung bekam er vor allem von Personen und Organisationen, die den Auswüchsen der Globalisierung kritisch gegenüberstehen. Widerspruch gab es unter anderem von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Häufige Kritikpunkte: Gemeinwohlökonomie funktioniere nur als weltweiter Ansatz, unterlaufe die freie Marktwirtschaft sowie Eigentums- und Freiheitsrechte.

Michael Vogel

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