Arbeitswelt & Karriere

„Der Weg zu Innovationen ist mit Fehlern gepflastert“

Foto: iStock/srg werbeagentur
Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch: ohne Risikobereitschaft keine Innovation, ohne Fehler kein Fortschritt. Doch eine konstruktive Fehlerkultur entwickelt sich hierzulande erst langsam.

Der Redner am Mikrofon gerät in Rage. „In Deutschland ist man stigmatisiert, wenn man einmal ein Projekt in den Sand gesetzt hat“, ruft er. „Man ist dann schnell der Versager oder gar der Kriminelle. Einer, der etwas versucht hat, von dem doch alle wussten, dass es nicht funktionieren kann.“ Christian Lindner ist der Mann, der diese Worte im Februar 2015 in den Düsseldorfer Landtag ruft. Zornig gemacht hat den FDP-Vorsitzenden der Zwischenruf eines Abgeordneten, der sich über ein von Lindner einst gegründetes und gescheitertes Start-up mokiert hat. Man muss weder Lindners Partei nahestehen noch seine damalige Geschäftsidee – Avatare, also virtuelle Personen, die Kunden durch Internetseiten führen – für brillant halten, um zu verstehen, was den ehemaligen Gründer so aufregt. „Aus Fehlern wird man klug“, sagt zwar der Volksmund besserwisserisch. Doch wirklich anerkannt oder gar belohnt wird der Mut, Fehler zu riskieren und aus ihnen zu lernen, hierzulande nur selten.

Gefährliche Fehler vermeiden, harmlose Fehler tolerieren

Während in Fernost Fehler als Ausgangspunkt für Verbesserungen gelten und in den USA Unternehmer erst ernst genommen werden, wenn sie die erste Pleite hinter sich haben, beschränkt sich in vielen Unternehmen im deutschsprachigen Raum die Fehlerkultur noch immer weitgehend auf Risikovermeidung und Fehlervertuschen. Schade eigentlich. Denn der konstruktive Umgang mit Fehlern dürfte Experten zufolge künftig zum immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor werden. „Ein offener Umgang mit Fehlern ist für ein Unternehmen heutzutage überlebensnotwendig“, sagt die Unternehmensberaterin Elke Schüttelkopf, die sich auf das Thema Fehlerkultur spezialisiert hat. Jedes Unternehmen sollte darauf achten, dass kritische Fehler nicht nur schnell und sicher erkannt, sondern auch schnell und zuverlässig gemeldet werden, rät die Autorin des Buches „Lernen aus Fehlern“. „Es ist wichtig, die teuren und gefährlichen Fehler zu erkennen und um jeden Preis zu vermeiden“, so Schüttelkopf. Bei kleinen und harmlosen Fehlern hingegen empfiehlt sie Toleranz, denn: „Der Weg zu Innovationen ist mit Fehlern gepflastert.“

Dieses Verständnis pflegt auch die Berliner Agentur Dark Horse, die ihre Kunden zur Konzeption und Umsetzung von Innovationsprojekten berät. „Wirklich kreative, innovative Lösungen für Probleme entstehen nur, wenn wir bekannte Pfade verlassen“, erklärt Patrick Steller, Innovationsberater bei Dark Horse. „Dadurch steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, Dinge falsch zu machen. Aber wenn wir als Unternehmer langfristig erfolgreich sein wollen, sind wir immer wieder dazu gezwungen, Neues auszuprobieren – und Fehler zu begehen.“ Statt von Fehlerkultur spricht er lieber von Lernkultur. „Ziel ist es ja, so schnell und effektiv wie möglich aus geschehenen Fehlern zu lernen“, so Steller. Stressfrei ist dieser Ansatz, den Dark Horse auch im eigenen Haus lebt, natürlich nicht immer. „Fehler kosten Geld und sind auch für uns als Unternehmen nicht lustig“, räumt er ein. Dennoch: „Die Entscheidung für eine Lernkultur hat so viele positive Auswirkungen – auf die Risiko- und Innovationsfreudigkeit, auf den Unternehmergeist des Einzelnen, auf das Arbeitsklima –, dass wir von unserem Weg überzeugt sind.“ In regelmäßigen Failure-Meetings teilt das Dark-Horse-Team die besten Lernerfahrungen, von denen laut Patrick Steller „jede Woche neue hinzukommen“.

FuckUp Nights: das Scheitern akzeptieren – und das Gelernte teilen

Sich für das eigene Scheitern nicht zu schämen, sondern es zu akzeptieren und das Gelernte mit anderen zu teilen – das ist auch das Prinzip der sogenannten FuckUp Nights. Die Idee dieser Veranstaltungen, die inzwischen in über 200 Städten weltweit stattfinden: Unternehmer berichten anderen Unternehmern von ihren Misserfolgen – und davon, wie sie, um eine Erfahrung reicher, wieder aufgestanden sind.

Daniel Putsche ist Mitveranstalter der FuckUp Nights Frankfurt. Über 1.000 Besucher, so Putsche, kommen regelmäßig zu den Veranstaltungen in der Mainmetropole, etwa die Hälfte von ihnen aus mittelständischen Unternehmen oder großen Konzernen, um sich mit dem Thema Fehlerkultur auf einem einfachen und kurzweiligen Weg vertraut zu machen. „Versagen spielt hierbei keine Rolle, sondern vielmehr der richtige Umgang mit Fehlern“, sagt Daniel Putsche über das Format. Im Rahmen von Briefings stellen die Veranstalter sicher, dass es in den Vorträgen weniger um das Scheitern geht, sondern vielmehr darum, was man daraus gelernt hat. Spannend, so Putsche, sei es dann jedes Mal, zu sehen, welche Vorträge gut angenommen werden und welche nicht. Seine Erfahrung: „Vor allem die Sprecher, die es schaffen, eine persönliche und nahbare Geschichte zu erzählen und diese mit wertvollen Learnings zu versehen, kommen beim Publikum gut an.“ Einer dieser Sprecher war übrigens Christian Lindner.

„Waghalsig sein in kleinen Schritten“

Anthony Hsiao ist vierfacher Gründer. Mit seinem aktuellen Start-up, Productive Mobile, hilft er Firmen, ihre IT so simpel und bequem wie Consumer Apps zu machen. Firmenmitarbeiter sollen so produktiver, mobiler und flexibler werden. Im Interview warnt er vor Fehlern, die aus Dummheit passieren - und ermuntert zu Fehlern, die auftreten, weil man Neues gewagt hat.

Anthony Hsiao, Webstratege und vierfacher Gründer.
Anthony Hsiao, Webstratege und vierfacher Gründer. - Foto: Anthony Hsiao

Herr Hsiao, Sie sind selbst mehrfacher Gründer. Ihre Erfahrung: Was haben Start-ups den Konzernen in Sachen Fehlerkultur voraus? 

Erst einmal muss man unterscheiden: Fehler ist nicht gleich Fehler. Grundsätzlich vermeiden sollte man Fehler, die aus Dummheit oder aus fehlender Planung passieren – egal ob man Start-up oder Großkonzern ist. Aber es gibt auch Situationen, in denen man scheitert, weil man etwas Neues probiert hat. Solche „Fehler“ sind eher ein Indiz dafür, dass man schnellen Schrittes voranschreitet. Wenn sie nicht passieren, ist man entweder zu langsam oder zu vorsichtig. Wir Start-ups überleben, weil wir schneller als andere aus diesen Experimenten lernen. 

Bei einem Großunternehmen steht im Zweifelsfall mehr auf dem Spiel als bei einem Start-up – sollten sich Konzerne solche Experimente trotzdem leisten?

Vermutlich wünscht sich niemand, dass die Techniker und Piloten einer Fluglinie oder die Beschäftigten in einem Atomkraftwerk plötzlich anfangen zu experimentieren und Neues auszuprobieren. In einem Umfeld, wo alles klar ist und lediglich ein Konzept repliziert oder skaliert werden soll, geht es natürlich vor allem darum, Fehler zu vermeiden. Aber Beispiele wie Amazon zeigen, dass auch große Firmen wagemutig und dadurch hochinnovativ sein können. 

Wie gelingt ihnen das?

Das Rezept ist immer das gleiche: Man ist waghalsig in kleinen Schritten. Um neue Ideen zu testen, werden kleine Teams eingesetzt, die eigenständig entscheiden und volle Budgetkontrolle haben – sodass sie im Zweifelsfall auch mal Geld verbrennen können. Dadurch können sie sich so schnell bewegen wie ein Start-up. Ideen, die funktionieren, werden dann weiter ausgerollt. 

Was war beruflich Ihr größter Fehler und was haben Sie daraus gelernt?

Ich habe festgestellt: Oft erweisen sich die Entscheidungen, die man nicht gefällt hat, im Nachhinein als die größten Fehler. Etwas nicht zu verändern, nur weil es gerade einigermaßen läuft, bringt aus meiner Erfahrung die meisten Probleme mit sich.

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Nicole Pollakowsky

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