Selbstmanagement & Wellbeing

Heimwerken 4.0

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Do-it-yourself-Magazine und -Kurse boomen, Stricken ist ebenso wie Kochen und Backen, Schreinern oder Gärtnern ausgesprochen hip. Ist es Zufall, dass es immer mehr handwerkliche Hobbys gibt, je digitaler sich unsere Arbeitswelt entwickelt?

Auf dem Flachdach leuchten Reihe um Reihe reife Tomaten, in den Hochbeeten blühen knallgelb Kürbis und Zucchini um die Wette. Ob im Hochhaus, im Kleingartenkollektiv oder auf dem Balkon: Stadtbewohner von heute wollen gärtnern. Urban Gardening heißt das sichtbar gewordene Bedürfnis des Stadtmenschen, etwas wachsen und gedeihen zu sehen, das er selbst gesät hat. Befriedigend und gesund, denn die Ernte ist zudem garantiert frei von Pestiziden und Insektiziden. Hat früher die schwäbische Landfrau mit dem Ertrag ihres „Stückles“ die Haushaltskasse geschont, so gibt heute der Städter – Informatiker, Arzt oder Sachbearbeiter – viel Geld aus, um Parzellen zu finden, auf denen er seinen grünen Daumen ausprobieren kann.

In deinem Leben sollst du ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen, lautet eine landläufige und in Hochzeitsreden gern zitierte Meinung. Heißt wohl: Du sollst etwas hinterlassen in der Welt. Es heißt nicht: Du sollst eine App erfinden, die morgen kopiert und übermorgen überflüssig wird. Oder: Du sollst 850 elektrische Schubumluftventile am Tag montieren für Fahrzeuge, die du selbst nie fahren wirst. Oder: Du sollst Details eines Auditive Interface Designs entwickeln, deren Bedeutung für das Gesamtprodukt du selbst nicht so ganz genau erklären kannst.

Die große Paradoxie der Hobbyhandwerker 4.0: Am Ende stellen sie ihr Werk auf Instagram oder Facebook zur Schau. Nur digital geteilt wird das Erlebnis echt. Foto: iStock

Hausgemachtes Echtzeit-Erlebnis

Jonathan Voges glaubt, dass die Hobbys nicht zufällig immer handwerklicher werden, je digitaler sich unsere Arbeitswelt gestaltet. Der Historiker hat ein Buch mit dem Titel „Selbst ist der Mann“ über die Entwicklung von der Do-it-yourself-Bewegung und Heimwerken in der Bundesrepublik geschrieben. „Umfragen, soziologische Forschungen und Medienberichte seit den 1950er-Jahren zeugen von der Frustration der Menschen darüber, ihre Arbeit buchstäblich nicht mehr in der Hand zu haben. Es macht den Arbeitenden Freude, im Privaten andere Kompetenzen an sich zu erfahren als im Beruf.“ Nicht zufällig, so Voges, entstand in den USA seit den 1950er-Jahren mit der Rationalisierung in Produktion und Büro eine Industrie, die das Bedürfnis nach Handwerk im Privaten auffängt: die Heimwerkermärkte.

Wie das Fliesenmosaik bombenfest klebt, die Kräuterschnecke für den Balkon schimmelfrei bleibt und der Echtholz-Paravent stabil steht, erklärt dem Bastler heute aber nicht mehr der Baumarkt-Mitarbeiter. An seine Stelle treten diverse Youtube-Kanäle – Stichwort digitalisierte Welt. Nie war es einfacher, Anleitungen zu verstehen.

Und das selbstgemachte Produkt besitzt einen viel höheren Wert als das gekaufte: Es ist individuell, es steht für Mühe und Freude und die Zeit, die der Heimwerker investiert hat. Dafür muss es nicht perfekt sein. Darf es vielleicht noch nicht mal, denn schließlich ist es der Gegenentwurf zur maschinellen Serienproduktion.

Je leichter und günstiger Waren zu erstehen sind, etwa durch Onlineshopping, desto mehr Wertschätzung erfährt das Handgemachte – auch wenn es online vertrieben wird. Davon zeugt der Erfolg von Plattformen wie Etsy, auf denen jeder Kreative seine selbstgefertigten Produkte selbst vermarkten kann. Die Portale bieten Kunsthandwerk in allen Ausprägungen und Qualitätsstufen von offensichtlicher Hobbybastelei bis zu echten Preziosen.

Vielleicht macht das ihren Reiz mit aus: das Gefühl, hier noch etwas ganz Besonderes entdecken zu können, eine echte Rarität.

Entfacht das Feuer im domestizierten Menschen

Tapetenkleister, Nähmaschine oder Bohrmaschine sind jedoch Kinderkram gegen weiße Glut, schwarz glänzenden Amboss und zischendes Wasser, aus dem ein funkelndes Messer gehoben wird: Messerschmiedekurse stehen hoch im Trend und lassen den normalen Heimwerkerkosmos weit hinter sich. An der Esse riecht es nach Gefahr, hier geht’s ums Ganze, ums Elementare; aus dem Feuer schließlich entstanden Werkzeug und Waffen und damit die Grundlagen unserer Zivilisation. Zugleich liegt eine Ahnung archaischer Vorzeit in der heißen Luft ... Das Messerschmieden ist vielleicht die extremste Zuspitzung des Do-it-yourself-Trends.

Haben Menschen ein tief verwurzeltes, natürliches, quasi genetisch verankertes Bedürfnis nach Arbeit aus ihrer Hände Kraft? „Wir Menschen streben danach, sogenannte Selbstwirksamkeitserfahrungen zu sammeln“, sagt Manuel Tusch, Psychologe, Ausbilder für Coaching und Leiter des IfAP Instituts für Angewandte Psychologie. „Das bedeutet, dass wir uns gerne als tätig, kraftvoll und hilfreich erfahren. Dieses Bedürfnis wohnt uns allen in unterschiedlicher Ausprägung inne – abhängig davon, wie wir erzogen und sozialisiert wurden.“

Selbstwirksam ... Wenn nun im Privaten das Handwerk boomt, heißt das, dass die Arbeit am Arbeitsplatz als nicht wirksam betrachtet wird? Tusch meint: „Je digitaler sich unsere Zeit, Arbeitswelt und Kommunikation gestalten, desto stärker sehnen wir uns nach dem Analogen, dem Unmittelbaren, Direkten, Greifbaren … Wir versuchen dann, das Digitale im Rahmen unserer Freizeitgestaltung zu kompensieren.“

Die große Paradoxie der Hobbyhandwerker 4.0: Am Ende stellen sie ihr Werk auf Instagram oder Facebook zur Schau. Nur digital geteilt wird das Erlebnis echt.

Jana Nolte

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