Menschen & Meinungen

Lernen Sie, „Nein!“ zu sagen – nur nicht zum Lernen

Verlassen Sie sich nicht darauf, dass jemand anderes erkennt, wann es zu viel ist. Trauen Sie sich, „Nein!“ zu sagen, um Ihre Selbstwirksamkeit zu erhalten.

Und wieder beginnt ein Artikel mit dem Hinweis auf den Fachkräftemangel. Im IW-Report 59/2020 „Die Messung des Fachkräftemangels“ schreibt das Institut der Deutschen Wirtschaft auf Seite 5: „Als Fachkraft wird hier eine qualifizierte Arbeitskraft bezeichnet, die eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine abgeschlossene Fortbildung, ein abgeschlossenes Studium oder eine vergleichbare mehrjährige Qualifizierung vorweisen kann. […] Unter einem Fachkräftemangel wird somit das Fehlen von Fachkräften verstanden, die über die von Unternehmen und anderen Arbeitgebern für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen benötigten Qualifikationen verfügen.“

Horden von Recruitern und Recruiterinnen (ihres Zeichens übrigens auch Fachkräfte) durchkämmen den Markt nach genau diesen Menschen, die in den Unternehmen einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten sollen.

Eine von ihnen ist Amila, 37 Jahre alt, IT-Architektin und Projektleiterin. Sie arbeitet seit 5 Jahren in einem namhaften Systemhaus und steuert erfolgreich die Softwareentwicklungsteams in Indien, Ungarn und Deutschland. Aufgrund der Digitalisierung der Wirtschaft und der guten Arbeit der Vertriebseinheit steigt die Zahl der Kundenanfragen und Projekten. Eine vermeintlich sehr positive Situation für das Systemhaus. Was allerdings nicht steigt, ist die Zahl der Amilas, die in der Lage sind, diese Projekte abzuwickeln. Anstatt auch mal eine Absage zu erteilen, überträgt die Führungsetage die Verantwortung für mehrere Aufträge gleichzeitig an die Projektleiterin. Mit ihrer Erfahrung, ein wenig Mehrarbeit und einer optimierten Selbstorganisation werde das schon klappen. Natürlich fühlt sich Amila geehrt und wertgeschätzt, doch menschliche Produktivität erreicht irgendwann ihre Grenzen.

Wenn sie nicht in der Lage ist, „Nein“ zu sagen, braucht es keine hellseherischen Kräfte, um die Konsequenzen zu antizipieren:

Überarbeitung, Demotivation, Verlust der Selbstwirksamkeit, schlechtere Projektergebnisse, unzufriedene Kundschaft, unzufriedene Führungskräfte – Kündigung.

Ein "Nein" erhält Ihre Selbstwirksamkeit

Wenn wir nochmal auf die Definition des Begriffs „Fachkraft“ schauen, dann spielt dabei nicht nur die Ausbildung eine Rolle, sondern auch und vor allem die Handlungskompetenz. Also die Fähigkeit, unter sich ändernden Rahmenbedingungen zielorientiert zu agieren. Die Kompetenz muss auf die Straße gebracht werden, sonst trägt sie nicht zur Wertschöpfung bei. Dazu brauchen Menschen Freiräume. Zeit zum Nachdenken. Zeit zum Erkenntnisgewinn. Zeit zum Kraft-Tanken. Zeit zum Feiern von Erfolgen.

Das ist nichts Neues. Und doch überschütten Führungskräfte oftmals ihre Mitarbeitenden mit Bergen von Arbeit. Vielleicht weil sie selbst unter Druck stehen und ihrerseits die Erwartungen des Managements, der Kundschaft oder der Shareholder erfüllen möchten. Deswegen appelliere ich an die Verantwortung jeder einzelnen Person: Verlassen Sie sich nicht darauf, dass jemand anderes erkennt, wann es zu viel ist. Sie wissen selbst am besten, wann Ihre Grenzen erreicht sind. Trauen Sie sich, „Nein!“ zu sagen, um Ihre Selbstwirksamkeit zu erhalten.

Ein „Nein!“ erscheint Ihnen sehr hart und Sie möchten Ihre Führungskraft nicht enttäuschen? Dann sagen Sie:

  • Nicht jetzt. Bis wann spätestens ist es relevant?
  • Wer außer mir kann die Aufgabe übernehmen?
  • Wie können wir die Arbeitspakete aufteilen?
  • Wie können wir vermeiden, dass so viele Aufgaben gleichzeitig entstehen?
  • Lassen Sie uns temporär jemanden Externes dafür einkaufen.
  • Lassen Sie uns meine Aufgaben neu priorisieren.

Führungskräfte sollten lernen, ein "Nein!" zu akzeptieren

Ich kenne Menschen, die behaupten, NEIN sei ein Akronym und stehe für: Noch ein Impuls Nötig. Sicher schmunzeln Sie gerade darüber. Doch die Konsequenzen eines nicht akzeptierten Neins sind oben bereits erwähnt. Und wenn es für Sie als Führungskraft unangenehm ist, ein „Nein!“ zu erhalten, dann stellen Sie keine geschlossenen Fragen. Beziehen Sie Ihre Fachkräfte lieber in den Lösungsfindungsprozess ein:

  • Wir haben einen neuen Auftrag. Lassen Sie uns mal überlegen, wie wir den bestmöglich abwickeln.
  • Wie genau steht es um Ihre Kapazitäten in den nächsten sechs Monaten?
  • Welches alternative Angebot können wir dem Kundenunternehmen unterbreiten?
  • Wer aus Ihrem Netzwerk kann uns helfen?

Fachkraft bleiben

Mitdenkende, lösungsorientierte und kompetente Fachkräfte im Unternehmen zu haben, ist ein Segen. Und ein echter Business Case. Rechnen Sie mal aus, was es Sie kostet, einen neuen Mitarbeitenden oder eine neue Mitarbeitende zu finden, zu rekrutieren und onzuboarden. Falls Sie Interesse an einem konkreten Zahlenbeispiel haben, melden Sie sich gerne bei mir.

Damit eine Fachkraft eine Fachkraft bleibt, muss sie regelmäßig neue Kompetenzen aufbauen. Schon 2002 hat die Welt am Sonntag eine Studie des Fraunhofer-Instituts zitiert: „IT-Kenntnisse haben nur noch eine Halbwertszeit von einem Jahr“. Wie soll Amila auf dem Laufenden bleiben, wenn sie keine Zeit zum Lernen hat?

Die Komplexität unserer (Arbeits-)Welt ist enorm. Das Gesamtsystem zu überblicken ist nahezu unmöglich. Und doch können wir mit kleinen Verhaltensänderungen – wie oben beschrieben – einen Beitrag dazu leisten, dass wir gut damit zurechtkommen.

Möchten Sie direkt damit beginnen? Sagen Sie jetzt nicht „NEIN!“ Ich korrigiere:

Wann ist der beste Zeitpunkt, um damit zu beginnen?
Jetzt!

von Meike Leue

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