Rekrutieren und qualifizieren – zwei Seiten einer Medaille

Wir haben in den letzten Jahren viel über den Fachkräftemangel gesprochen. Aber so richtig getan hat sich wenig. Obwohl uns die demografischen Folgen mit dem Abschied der Babyboomer vom Arbeitsmarkt hinreichend bekannt sind und ihr Abgang riesige Lücken in die Belegschaften vieler Unternehmen reißt. Der Druck, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, steigt kontinuierlich an, je mehr Babyboomer der Arbeitswelt Lebewohl sagen.
Immerhin ist ein Lichtblick in Sicht: Das Rekrutieren ist in Unternehmen mittlerweile von einer Rand- zu einer Kerndisziplin geworden. Dies dokumentiert der aktuelle HR-Report 2022. Die Fachkräftegewinnung steht in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem zweiten Platz der HR-Agenda von Organisationen – nur die Bindung von Mitarbeitenden wurde als noch relevanter erachtet. Doch die Not ist groß und damit die Fachkräftegewinnung so wichtig geworden: Aufgrund des Mangels an Fach- und Arbeitskräften stellt die Hälfte der befragten Unternehmen in diesem Jahr neues Personal ein und nahezu 30 Prozent planen, dies zu tun.
Was sich dagegen kaum geändert hat, ist die Art und Weise, mit der Organisationen nach neuen Kräften suchen. Noch immer nutzen Unternehmen den seit Jahren vorherrschenden Klassiker: Die Jobportale im Internet. Sieben von zehn greifen auf diese zurück. Sechs von zehn nutzen ihre eigene Website ergänzend zu den Jobportalen oder gar als Kanal Nummer eins. Für Letzteres muss die Unternehmensmarke jedoch bekannt genug sein, um den entsprechenden Traffic an Bewerbungen zu generieren.
Nicht überraschend: In Zeiten von Vernetzung und Communities oder Alumni-Netzwerken ist der Rekrutierungskanal „Mitarbeitende werben Mitarbeitende“ auch in diesem Jahr noch beliebter geworden. Bereits etwas mehr als die Hälfte der befragten Organisationen nutzt ihn mittlerweile. Und natürlich hat sich auch die Suche nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über Social-Media-Plattformen weiter etabliert. Doch mit 44 Prozent nicht in dem Ausmaß, wie es der ursprüngliche Hype um diesen Kanal vermuten ließ. Auf Personaldienstleistungsfirmen wie Hays greift übrigens immerhin jedes dritte Unternehmen zurück, wenn es gilt, neue Kolleginnen und Kollegen zu finden.
Die internationale Rekrutierung, die einst als eines der Allheilmittel für den Fachkräftemangel angesehen wurde, bleibt auch im aktuellen HR-Report mehr Schein als Sein. De facto suchen im deutschsprachigen Raum sechs von zehn Unternehmen noch immer zunächst vor ihrer regionalen Haustür oder in ihrem eigenen Land, was bei der Hälfte der Befragten der Fall ist. Wenn im Ausland rekrutiert wird, dann geschieht dies vor allem im deutschsprachigen Ausland oder in Westeuropa. Alles, was geografisch darüber hinaus geht, führt eher ein Schattendasein und spielt in der Rekrutierung nur eine marginale Rolle.
Rekrutierung ist jedoch nur eine Seite der Medaille, um dem Fachkräftemangel beizukommen. Die andere Seite, die meiner Ansicht nach zu wenig beachtet wird, betrifft die Qualifizierung der vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn bei allem Lamentieren um die zu geringe Anzahl an Fachkräften auf dem Markt: Im Kern geht es nicht allein um die reine Zahl der verfügbaren Beteiligten, sondern vielmehr darum, dass die benötigten und die vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeitenden oft nicht zusammenpassen.
Dem ließe sich abhelfen. Indem Organisationen durchdacht und strukturiert in das regelmäßige Up- und Re-Skilling ihres Personals investieren. Leider wird dies immer noch vernachlässigt. Gerade mal jedes fünfte befragte Unternehmen des HR-Reports 2022 schult seine Belegschaft zu neu gefragten Kompetenzen und gar nur jedes zehnte geht das Re-Skilling an. In Zeiten, in denen sich Berufsbilder und Tätigkeitsprofile ständig verändern, ist dies eigentlich unangebracht. Klar löst auch die Qualifizierung nicht alle personellen Engpässe – sie lindert sie jedoch spürbar. Für Unternehmen gilt es also, beide Felder gut zu bespielen: Rekrutierung und Qualifizierung.