Menschen & Meinungen

"So sprechen Sie gezielt weibliche Talente an"

Dr. Bettina von Jagow ist Leadership Coach und Expertin für Female Empowerment. Im Gespräch mit der HaysWorld erläutert sie, wo Unternehmen ansetzen sollten, um weibliche Talente anzusprechen, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden und welche wichtige Rolle Führungskräfte bei der Karriereentwicklung spielen
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Unternehmen haben nachweislich große Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen – auch an der Nachwuchsfront sieht es düster aus. Wo sehen Sie angesichts des Fachkräftemangels die größten Hebel für Unternehmen, um sich verstärkt um Frauen zu bemühen?

Dr. Bettina von Jagow

In den Studien der letzten Jahre finden sich vor allem zwei Gründe, warum Frauen zögern, Vollzeit zu arbeiten, eine Führungskarriere anzustreben oder einen Jobwechsel zu riskieren, um zum Beispiel mehr Verantwortung und Gehalt zu bekommen: Der erste Grund heißt mangelnde Flexibilität. Oft fehlen flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuungsmodelle, Möglichkeiten zur Remote-Arbeit, Job-Sharing und ausreichende Eigenbestimmung in der operativen und inhaltlichen Ausgestaltung. Der zweite, aus meiner Perspektive schwerwiegendere Grund heißt: schlechte Führungskultur. Wertschätzung, Augenhöhe, vorherrschende Machtstrukturen, Teilhabe in Entscheidungsprozessen und transparente Kommunikation spielen hier eine große Rolle. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass alle meine Klientinnen, die unzufrieden im Job geworden sind und auf bestem Weg in die innere Kündigung waren, in Führungsstrukturen arbeiten mussten, dessen Werte sie nicht geteilt haben. Trauen Sie sich also nachzufragen, was Ihre Mitarbeiterinnen für Bedürfnisse haben. Hören Sie vor allem genau zu und lesen Sie zwischen den Zeilen. Fördern Sie eine echte Feedbackkultur.

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Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Versäumnisse oder Hürden bei der gezielten Ansprache weiblicher Talente?

Dr. Bettina von Jagow

Diese Frage bedarf einer tiefergehenden Beantwortung. Hier sind drei aus einschlägigen Studien bekannte Bedingungen, die Frauen in ihrem Job unbedingt sehen wollen, und das nahezu generationenübergreifend: Erstens sinnstiftende Arbeit (Fokus auf Impact), zweitens das Arbeitsklima (Fokus auf Kooperation) und drittens Stabilität (Fokus auf Sicherheit). Frauen arbeiten häufig eher inhaltsorientiert. Sie sprechen wenig oder gar nicht über die Ergebnisse, die sie erreicht haben, weil sie es als selbstverständlich ansehen.. Eine Rechnung ohne sie zu machen, führt bei Frauen häufig zu Rückzug statt Angriff. Sie verzichten lieber, als dass sie unangenehm auffallen. Ich könnte die Reihe hier fortführen, aber ich denke, es ist klar worauf ich ziele: Unterstützen Sie Frauen, sichtbar zu werden. Sichtbarkeit und Standing sind wesentliche Gründe, warum Frauen nicht zu 50 Prozent in den oberen Führungsetagen angekommen sind. Ebenso das Führungsklima. Für die Ansprache bedeutet das aus meiner Perspektive: Formulieren Sie Ihre Ansprüche so, dass Frauen Ja sagen können. Betonen Sie wertschätzend, was Ihr Gegenüber bereits mitbringt. Sehen Sie die Stärken und die Persönlichkeit und betonen Sie die Vorzüge, die diese für den Job mitbringen. Frauen sehen oft eher Risiken als Chancen bei Bewerbungen. Schenken Sie die nötige Sicherheit für den Sprung von der Klippe. Die wenigsten haben das Vertrauen und den Mut, von der Klippe zu springen, da sie nicht wissen, wo sie landen.

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Wir wissen, dass die Corona-Pandemie zum großen Backlash für Frauen und das Thema Equity in der Arbeitswelt geworden ist. Hat sich Ihrer Erfahrung nach das Thema Vereinbarkeit seit dieser Zeit verbessert?

Dr. Bettina von Jagow

Die Frage ist, was wir unter „Verbesserung“ verstehen. Sicherlich ist die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse größer geworden, weil in der Pandemie alle erfahren haben, was es heißt, z. B. Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Haben sich dadurch signifikant Strukturen verändert? Nein. Was wir brauchen, ist ein Umdenken aller Verantwortlichen und eine operative Umsetzung der Ergebnisse. Ergebnisse beruhen auf Handeln. Und das sehe ich zu wenig. Aus allen Gesprächen, die ich in Unternehmen führe, und in denen es um Frauenförderung auf den unterschiedlichen Ebenen geht, ist die größte Herausforderung die sogenannte Work-Life-Balance. Ich spreche von der Happiness-Balance. Was inspiriert Frauen, Leistung abzurufen, während sie sich um ihre Familie kümmern oder ihren persönlichen Leidenschaften nachgehen können? Neben unterstützenden strukturellen Maßnahmen ist es meines Erachtens vor allem auch die Wertschätzung und das Gesehenwerden. Es gibt dieses tolle Zitat: „If we inspire people, they give us more than we ask for.” Wir brauchen operativ und mental unterstützende Strukturen. Mit einem Lächeln. Einem Danke. Einem: „Das ist der Wahnsinn, wie du das alles hinbekommst. Chapeau!“

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Schaut man sich die Personalplanung mittel- und langfristig an, ist vorwiegend von Neueinstellungen die Rede. Warum wird immer erst der Blick nach außen gerichtet, anstatt beispielsweise auf die Frauen in Teilzeit, die sich gerne beruflich weiterentwickeln möchten? Zumal sie meist hochqualifiziert, intern gut vernetzt und enorme Wissensträgerinnen sind?

Dr. Bettina von Jagow

Es braucht beides – den Blick nach innen und nach außen. Frauen fordern oftmals weniger und warten darauf, dass jemand sie sieht. Allen meinen Klientinnen sage ich immer: Schreit es von den Dächern, wenn ihr euch weiterentwickeln wollt. Dein Chef kann es nicht riechen. Aber Frauen melden sich häufig nicht als Erste, wenn es um eine Beförderung, eine Weiterentwicklung oder um mehr Verantwortung geht. Sie fragen sich erst einmal: Kann ich das überhaupt? Müsste ich dafür nicht noch eine Zusatzqualifikation machen? Will ich überhaupt diese Führungsrolle? Dazu gibt es Studien: Männer bewerben sich auf Positionen, wenn sie weniger als 50 Prozent der Anforderungen erfüllen. Frauen nur, wenn sie mindestens 80 Prozent mit einem klaren Ja beantworten können.

Und dann gibt es Positionen, da tut es dem Unternehmen gut, externe Expertise reinzuholen.

Jedes wachsende Unternehmen braucht neue Expertise. Das ist wie bei einem Baum: Die Wurzeln wachsen tiefer, wenn sie ihn wässern. Die Jahreszeiten erfordern ein immerzu neues Kleid.

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Vielfalt am Arbeitsplatz ist heute ein absolutes Muss. Allerdings vergessen Unternehmen häufig, dass Vielfalt nicht mit dem Einstellungsprozess endet. Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach vor allem beim Onboarding sowie bei der Karriereentwicklung für Frauen an, damit sie langfristig bleiben?

Dr. Bettina von Jagow

Es gibt ein Grundbedürfnis, das wir alle haben, dass Frauen allerdings oft stark in ihren Rollen am Arbeitsplatz leben wollen: Authentizität. Beachten Sie also in allen Phasen der Reise, dass Menschen sich so zeigen dürfen, wie sie sind. Die sogenannte „Macho-Kultur“ und andere Führungsverhalten, die nicht auf Inspiration fußen, sondern auf Kontrolle, führen zu Isolation. Wir wissen aus unterschiedlichen Experimenten, dass sie jeden noch so starken Menschen kaputt machen können. Schaffen Sie Netzwerke für die Gruppen, die Sie fördern möchten, so wie z. B. das Frauenkarriere-Netzwerk bei Hays. Sehen Sie diese Netzwerke aber bitte nicht als Inseln an, die dem großen Kontinent Unternehmen vorgelagert sind. Behandeln Sie diese Netzwerke auch nicht wie Bastionen innerhalb Ihres Territoriums, die zu schützen sind. Integrieren Sie Netzwerke und Aktionen Schritt für Schritt in Ihr tägliches Doing, wie Sie es z. B. am 8. März anlässlich des Weltfrauentags praktizieren. Als Holistic High Performance Coach weiß ich: „Consistency wins. Every single day a step. Slow and steady wins the race.” Langfristige Karriereentwicklung von Frauen beruht auf täglichen kleinen Veränderungen in der Unternehmenskultur. Dazu gehören alle Beteiligten. Frameworks schaffen beim Onboarding und klare Strukturen in der Karriereentwicklung, auf die sich alle verlassen können, die alle kennen und an die sich alle halten müssen. Das schafft Gleichberechtigung, Sicherheit und Transparenz. Und ist es nicht genau das, was wir uns alle wünschen, wenn wir zusammen Großes bewirken wollen?

Dr. Bettina von Jagow

Dr. Bettina von Jagow ist Gründerin und Inhaberin der von Jagow Advisory und des Institute of Fine Leadership und arbeitet als Coach und Mentorin für High Performer und Potencials mit unterschiedlichen Programmen.

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