„Arbeitgeber können nicht mehr aus den Vollen schöpfen“

Dazu müssen sie ihre Recruiting-Maßnahmen anpassen, um die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten für sich zu gewinnen. Wie das funktioniert, erfahren Sie im Interview mit Christian Borkowski, Managing Director Permanent (Festanstellung) bei Hays, und Gero Hesse, CEO der progressiven Markenfamilie EMBRACE, die ein Teil von Bertelsmann Investments ist.
Welche Faktoren müssen wir zunächst bedenken, wenn wir über die Zukunft des Arbeitsmarkts sprechen?
Gero Hesse: Mein Glaubenssatz ist: Jeder Mensch verdient den bestmöglichen passenden Job und Arbeitgeber, daran ändert sich auch in Zukunft nichts. Das Matching zwischen Menschen und Unternehmen hat sich jedoch bereits in den letzten Jahren durch zahlreiche Faktoren verändert und wird es auch in Zukunft tun. Sei es die Digitalisierung, die stetig neue Instrumente im Recruiting mit sich bringt und vor allem auch den Fokus auf die Daten der Kandidatinnen und Kandidaten legt. Oder die Corona-Krise, die sich als Gamechanger für remote und hybrid Work einreihte. Dazu kommt der demographische Wandel, durch den Personaldienstleister eine noch größere Bedeutung bekommen als zuvor.
Christian Borkowski: Der demografische Wandel ist bereits spürbar, der Fachkräftemangel wird mehr und mehr zum Wachstumshemmer. Bis 2030 werden in Deutschland über sechs Millionen Arbeitskräfte auf dem Markt fehlen. Kurzfristig haben der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die Inflation zwar zu Unsicherheiten auf dem Markt und zu zögerlichen Einstellungen geführt. Vor allem waren aber auch die Kandidatinnen und Kandidaten in diesen Zeiten unsicher hinsichtlich eines Jobwechsels. Langfristig verändert sich der Arbeitsmarkt aber immer weiter von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt.

Wie können sich Arbeitgeber an die neuen Gegebenheiten auf dem Markt anpassen?
Christian Borkowski: Unternehmen müssen flexibler werden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Alter, Geschlecht, Nationalität werden eine immer kleinere Rolle bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden spielen müssen. Auch Menschen mit krummen Lebensläufen sollten von Unternehmen eine Chance bekommen. Ein Studium darf kein Muss sein, um im Berufsleben erfolgreich zu werden. Zudem wird die Menge an passiven Jobsuchenden immer größer. Diese bewerben sich nicht aktiv, sondern werden angesprochen oder empfohlen. Man muss sie also erstmal überzeugen und das passiert aus meiner Sicht mit guten Gesprächen auf Augenhöhe. Denn am Ende arbeiten Menschen mit Menschen zusammen und so machen vor allem in diesen stark technologisierten Zeiten die Menschen den Unterschied.
Ist der Paradigmenwechsel im Recruiting bereits angekommen?
Gero Hesse: Nach alten Prinzipien können wir auf dem heutigen Markt nicht mehr agieren. Unternehmen können nicht mehr als Sender agieren, sondern müssen stärker aus der Sicht des Arbeitnehmers denken: Was will der Kandidat beruflich erreichen? Welche Werte vertritt die Kandidatin und wie kann ich individuell auf sie eingehen? Arbeitgeber können nicht mehr aus den Vollen schöpfen; dass sie nicht nur vom Fachkräftemangel betroffen sind, sondern auch ihr Verhalten ändern müssen, muss den Unternehmen zunächst bewusstwerden.
Christian Borkowski: Die Lösung ist eine strategische, vorrauschende Personalplanung, die das Unternehmen zukunftssicher macht, indem sie so heute schon die Fachkraft finden, die sie morgen brauchen: Welche Skills müssen Mitarbeitende mitbringen, um nicht nur die aktuellen, sondern auch die zukünftigen Unternehmensziele zu erreichen? Welche Fähigkeiten braucht es, um die Chancen von morgen zu ergreifen?

Wenn Unternehmen nicht mehr nur als Sender fungieren können, wie treten sie dennoch als attraktiver Arbeitgeber auf und mit potenziellen Mitarbeitenden in Kontakt?
Gero Hesse: Öffentliche digitale Auftritte von Unternehmen sind meist glatt und wenig persönlich. Authentizität und Attraktivität erreicht eine Arbeitgebermarke vor allem dann, wenn die eigenen Mitarbeitenden in Erscheinung treten und auch mal Ecken und Kanten zeigen. Sie müssen sich jedoch bewusst dazu entscheiden, sichtbar zu sein und ein Thema für sich finden, mit dem sie sich in der Öffentlichkeit wohlfühlen. Denn wenn man einmal damit startet, muss man am Ball bleiben, um erfolgreich eine Personal Brand zu entwickeln.
Christian Borkowski: Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen diese Kolleginnen und Kollegen fördern und z. B. durch Corporate-Influencer-Programme befähigen. Als Verantwortlicher des Permanent Recruitment bei Hays gehört eine digitale Präsenz für mich mittlerweile dazu. In meinen Postings geht es oft um die aktuellen Geschehnisse auf dem Arbeitsmarkt oder auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus der Sicht eines Working Dad. Ich möchte als gutes Beispiel vorangehen und andere Mitarbeitende inspirieren, ebenfalls aktiv zu werden. Außerdem nutze ich die Plattform, um mich gezielt im Business zu vernetzen.
Weiterführende Links
-
SAATKORN – der Blog von Gero Hesse
Sie wollen mehr von Gero Hesse lesen? Dann schauen Sie auf seinem Blog "SAATKORN – der Employer Branding Blog" vorbei:
https://www.saatkorn.com/