Fachkräftemangel im Maschinenbau

„Wir müssen uns das gesamte Potenzial eines Bewerbenden anschauen.“
Herr Haeusgen, laut unseres aktuellen Fachkräfte-Index wurden im ersten Quartal 2023 knapp 50.000 Ingenieurinnen und Ingenieure gesucht. Für das verarbeitende Gewerbe zählten wir insgesamt 40.000 Stellengesuche. Was sagen Sie Ihren Mitgliedern, mit welchen Strategien sie dieser Entwicklung beikommen können?
Die Besetzung von hochqualifizierten Mitarbeitenden ist innerhalb des Recruiting eine besonders anspruchsvolle Herausforderung. Da gibt es kein Patentrezept, das wir allen unseren Mitgliedsunternehmen anbieten könnten. Vielmehr muss jedes einzelne Unternehmen entsprechend seiner Unternehmenskultur versuchen, Lösungen zu finden. Ich empfehle, sich möglichst früh als Unternehmen bei potenziellen Bewerbenden in Position zu bringen. Das geht vor allem über Kooperationen mit Hochschulen, z.B. durch gemeinsame Forschungsprojekte. Auch über attraktive Praktika finden viele Nachwuchskräfte den Weg ins Unternehmen. Falls möglich sollte auch über Bachelor- und Masterarbeiten der Kontakt zu den künftigen Ingenieurinnen und Ingenieuren gesucht werden. Promotionsstellen können ebenfalls ein vielversprechender Einstieg in eine dauerhafte Anstellung sein. Als Arbeitgeber müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir immer sofort den passgenauen Bewerbenden bekommen. Statt einseitig auf das fachliche Profil zu setzen, sollten wir uns das gesamte Potenzial anschauen, das in der Persönlichkeit eines Bewerbenden steckt. Sicher ist, dass die die Fachkräftesituation aus Sicht der Arbeitgeber nicht besser wird. Active Sourcing wird daher bei der Personalsuche an Bedeutung gewinnen. Und ganz wichtig: Die Unternehmen müssen erreichen, dass mehr Frauen bei ihnen arbeiten wollen. Mit 11 Prozent ist der Frauenanteil in den Ingenieurberufen im Maschinen- und Anlagenbau immer noch gering. Dass aber immerhin 25 Prozent der Studienanfänger im Maschinenbau Frauen sind, stimmt mich hoffnungsvoll, dass wir künftig besser werden.
Daran, dass sich die Nachwuchskräfte nicht für den Klimaschutz oder regenerative Energien begeistern, kann es ja nicht liegen. Hat der Maschinenbau ein Imageproblem?
Ja, wir müssen am Image arbeiten. Viele junge Leute haben kein Bild vom Maschinenbau oder ein falsches, wie eine Befragung von Schülerinnen und Schüler aus dem März 2023 zeigt. Der Maschinenbau wird von vielen jungen Leuten nicht als Löser des Klimaproblems gesehen, sondern eher als klimaschädlich wahrgenommen, wie 45 Prozent meinten. Gleichzeitig gilt er bei der Mehrheit als modern, zukunftsorientiert und krisensicher, aber auch als „langweilig“, wie 43 Prozent sagten. Die Unternehmen bestätigen dieses Ergebnis. Bei einer Umfrage unter rund 600 Unternehmen geben 60 Prozent an, dass die Zahl der Schüler und Schülerinnen, die kein Bild vom Maschinenbau haben, zugenommen hat.

Nach 2022 - einer Zeit der Investitions-Zurückhaltung - zieht die Nachfrage nach Fachkräften für die Bereiche Automatisierung oder Robotik wieder an. Worauf ist diese Zuversicht im Maschinenbau im Wesentlichen zurückzuführen? Welche großen Projekte werden jetzt angeschoben?
Es gibt große Herausforderungen und Transformationsthemen, wo immer man hinschaut. Bei den erneuerbaren Energien müssen wir eine enorme Skalierung hinbekommen, niedrige Kosten, Technologieführerschaft und auch eine gewisse Unabhängigkeit und Resilienz erreichen. Die Kreislaufwirtschaft erfordert neue Lösungen für Trennung, Recycling und Demontage. Bis 2035 wird das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland um vier bis sechs Millionen Menschen schrumpfen – insbesondere der Dienstleistungssektor ist hiervon stark betroffen. Für all diese Herausforderungen stellen Robotik und Automation Lösungen zur Verfügung. Als „Ermöglicher“ hat Robotik und Automation hier eben Hochkonjunktur – das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.
Was beobachten Sie: Sind Unternehmen aktuell bereit, für die gesuchten Fachkräfte, noch tiefer in die Tasche zu greifen?
Der Fachkräftemangel macht den Arbeitsmarkt eindeutig zu einem Arbeitnehmermarkt. Das heißt: je besser die Ausbildung eines Arbeitnehmers ist und je begehrter seine Qualifikation, ist desto besser ist seine Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber. Das muss nicht gleich mehr Geld bedeuten. Gerade viele jüngere Bewerberinnen und Bewerber legen z.B. Wert darauf, einen Teil ihrer Arbeit im Homeoffice zu absolvieren. Wo das möglich ist, kommen die Arbeitgeber solchen Wünschen gerne entgegen.
Aktuelle Studien sagen, die Menschen wollen tendenziell weniger arbeiten. Also weg von der 40-Stunden-Woche. Denn die Arbeitsdichte wird für jeden einzelnen immer größer. Sie plädieren für die Rückkehr zur 40-Stunden Woche. Wie kann man die Menschen dafür begeistern, wenn die Arbeitslast schon extrem hoch ist?
Ein Begriff wie Arbeitszeitdichte ist sicherlich subjektiv geprägt. Zudem gibt es auch Studien, die das Gegenteil behaupten, nämlich dass ein großer Teil der Arbeitnehmer – zumindest in der Metall- und Elektroindustrie – durchaus länger arbeiten wollen. Die Leistungsbereitschaft ist nach wie vor hoch. Ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrzahl auch bereit ist, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten, wenn sie entsprechend mehr verdienen. Die Motivation, länger zu arbeiten und dann auch mehr zu verdienen, steigt sicherlich, wenn der Staat dauerhaft darauf verzichtet, durch die kalte Progression das meiste des Mehrverdiensts abzuschöpfen. Eins geht jedenfalls nicht: Immer weniger arbeiten und immer mehr verdienen. Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, die zudem zur Behebung des Fachkräftemangels beitragen soll – damit begibt man sich auf den Holzweg.
Wo sehen Sie ungenutztes Arbeitskräftepotenzial, mit dem man dieser Arbeitssituation entgegenwirken kann?
Die Möglichkeiten sind äußerst begrenzt. Ansonsten hätte ich meinen Vorschlag zur 40-Stunden-Woche nicht gemacht. Die Fachkräfteeinwanderung kann den Fachkräftemangel lindern, aber nicht lösen. Denn woher sollen auch die vielen Fachkräfte kommen, die wir allein in der Industrie brauchen? Viele Industrieländer haben mit den gleichen demografischen Entwicklungen zu kämpfen wie wir. Trotzdem müssen wir alles tun, um einwanderungswillige Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Zudem wollen wir, dass mehr Frauen in Vollzeit arbeiten können. Aber die Familien lässt der Staat bei der Kinderbetreuung allzu oft im Stich. Und um dieses Problem zu lösen, brauchen wir wiederum Fachkräfte in den Kitas. Es fehlt eben an Fachkräften, überhaupt an Arbeitskräften an allen Eckern und Enden. Ohne das Arbeitszeitvolumen zu erhöhen, bekommen wir das Problem insgesamt nicht in den Griff.
Karl Haeusgen
Karl Haeusgen (Jahrgang 1966) ist seit Oktober 2020 Präsident des Verbands Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA), der rund 3500 Unternehmen mit etwa eine Millionen Beschäftigten vertritt. Der Betriebswirt ist zudem Aufsichtsratschef von Hawe Hydraulik.
