Unternehmen & Märkte

„Führungskräfte im Finance & Controlling sollten sich im Recruiting stärker involvieren“

Die aktuellen Zahlen des Fachkräfte-Index für das vierte Quartal 2022 unterstreichen einmal mehr den gravierenden Fachkräftemangel in den Finanzabteilungen, sowohl in der Industrie als auch in Dienstleistungsunternehmen. Mit einer Gesamtzahl von 29.100 absolut ausgeschriebenen Stellen markiert das vierte Quartal 2022 ein Allzeithoch innerhalb dieser Berufsgruppe seit der Erstauswertung 2015. Eine dementsprechend große Herausforderung ist es für Unternehmen, angesichts der leergefegten Bewerbermärkte, diese dringend benötigten Finanz-Fachkräfte zu rekrutieren.

„Führungskräfte im Bereich Finance und Controlling müssen das Recruiting als Kernaufgabe sehen.“

Unsere Finance-Experten Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck erläutern im Interview mit der HaysWorld, an welchen Stellenschrauben arbeitgebende Unternehmen drehen können, woran Recruiting-Prozesse in der Praxis mitunter scheitern und wie sich der Finance-Bereich in den nächsten Jahren einwickeln wird.

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Der aktuelle Hays Fachkräfte-Index verzeichnet eine Rekordnachfrage nach Finance-Fachkräften, insbesondere in der Bilanzbuchhaltung und im Controlling wird händeringend gesucht. Wie müssen sich Unternehmen aufstellen, wenn sie diese begehrten Expertinnen und Experten für sich gewinnen möchten?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Erich Schwinghammer: Unternehmen sollten sich weiter und intensiv mit flexiblen Arbeitszeitmodellen beschäftigen. Hierzu zählen u. a. auch hybrides/mobiles Arbeiten. Darüber hinaus sollten Unternehmen den potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten fachliche und/oder persönliche Entwicklungsmöglichkeiten skizzieren. Das Gehalt als zentraler Hygienefaktor muss natürlich ebenfalls stimmen. Dabei ist eine marktübliche Vergütung das Mindeste. Auch Transparenz ist enorm wichtig – potenzielle Arbeitgeber sollten auf jeden Fall offen und ehrlich über die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens sowie die Strategie sprechen. Ehrlichkeit währt am längsten!

Gerald Fahnenbruck: Neben dem Finden und Binden von Fachkräften im Finance-Bereich darf auch die Bindung der bestehenden Mitarbeitenden nicht außer Acht gelassen werden werden. Denn der Fachkräftemangel ist mit Recruiting allein nicht zu bewältigen. Es geht auch darum, Mitarbeitende langfristig zu binden, zu befähigen und ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen.

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Trotz eines offensichtlichen Kandidatenmarktes scheinen viele Unternehmen ihren Recruiting-Prozess nicht an die Arbeitswelt von heute anzupassen. Welche Veränderungen sind hier notwendig?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Erich Schwinghammer: Bewerben kommt von werben – das heißt, Unternehmen müssen sich immer mehr darauf einstellen, dass sie sich bei Kandidaten und Kandidatinnen bewerben und dementsprechend um deren Gunst „buhlen“ müssen. Arbeitnehmende haben heute mehr denn je die Qual der (Aus-)Wahl. Dementsprechend muss das Recruiting in den Unternehmungen als Kernaufgabe priorisiert werden.

Schnelle und offene Feedbacks sind mittlerweile unabdingbar – oftmals dauert die Abstimmung zwischen HR und der Fachabteilung noch viel zu lange. Die Nennung des Gehaltsrahmens in den Anzeigen sowie ein schnelles und unkompliziertes „in Kontakt treten“ muss darüber hinaus gewährleistet werden. Ein persönlicher Kontakt ist wichtig.

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Was sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis? Woran scheitern Recruiting-Prozesse am häufigsten?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Erich Schwinghammer: Leider sind die Verantwortlichkeiten innerhalb der Unternehmen bzw. innerhalb des Recruiting-Prozesses häufig nicht definiert. Das spiegelt sich u. a. auch in einem mangelhaften Informationsfluss und einer mangelnden Kommunikation zwischen HR und Fachbereich wider – dies kostet unnötig Zeit, verzögert den Einstellungsprozess immens und führt nicht selten dazu, dass Kandidatinnen und Kandidaten sich dann innerhalb des Prozesses anderweitig umschauen.

Die Berufsbilder ändern sich, dies hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Profile der Bewerbenden – oftmals passen diese nicht mehr zu 100 % zum gesuchten Anforderungsprofil. Viele Hiring Manager machen hier den Fehler, zu lange am Idealbild festzuhalten, anstatt auf entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen zu setzen.

Gerald Fahnenbruck: Es wird oft mit „veralteten“ Stellenbeschreibungen rekrutiert. Unternehmen machen sich im Vorfeld zu wenig Gedanken darüber, was die Kernaufgaben sind und welche notwendigen Kompetenzen Bewerbende mitbringen sollten. Zudem ist es unabdingbar, dass Führungskräfte im Bereich Finance & Controlling das Recruiting neben dem People Management als Kernaufgabe sehen und sich entsprechend involvieren, zusammen mit HR.

Erich Schwinghammer: Abschließend scheitern viele Recruiting-Prozesse daran, dass etliche Unternehmen noch immer nicht die Notwendigkeit von flexiblen Arbeitszeitmodellen – Teilzeit- gleichermaßen wie Remote-Modelle – erkannt haben und hier zu starr agieren. Dies passt heute aber nicht mehr zu den Vorstellungen der am Markt verfügbaren Arbeitnehmenden.

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Wie wird sich der Finance-Bereich in den nächsten Jahren entwickeln? Welche Positionen und Skills werden künftig besonders gefragt sein?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Erich Schwinghammer: Die Nachfrage nach Fachkräften aus den Bereichen Controlling, Riskmanagement, Compliance, Accounting, Treasury und Tax steigt unverändert an. Der Finance-Bereich wird immer digitaler und internationaler. Das bedeutet, IT-affine Kandidatinnen und Kandidaten werden zunehmend gefragt sein, die den Unternehmen helfen – speziell im Finance-Bereich – den digitalen Wandel zu meistern und daraus folgernd die Automatisierungsprozesse mitzugestalten und aktiv zu unterstützen. Auch der Finanzbereich wird hier einem steten Wandel unterliegen.

Gerald Fahnenbruck: So definiert sich zum Beispiel die moderne Accounting-Fachkraft nicht mehr über rein buchhalterische Tätigkeiten wie Belegerfassung, Buchung und Fakturierung oder Rechnungsstellung. Zum Berufsbild von heutigen Finance-Experten oder -Expertinnen gehören auch Aufgabenfelder wie:

  • Datenmanagement
  • Konzeption und Steuerung von automatisierten Prozessen
  • Projektmanagement
  • Bilanzpolitik und Internationale Rechnungslegung
  • Training von Software-Robotern
    und vieles mehr…
     

Auch Softskills wie Empathie, Datenkompetenz, Kreativität, Neugierde und Lernbereitschaft gewinnen an Bedeutung. Vor allem sind gute kommunikative Fähigkeiten unabdingbar, da die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams noch weiter zunehmen wird.

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Welche künftigen Herausforderungen sehen Sie für Jobs und Tätigkeiten im Bereich Finance?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Erich Schwinghammer: Wir werden hier mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert sein. Der sich verschärfende Fachkräftemangel wird u. a. auch im Finanzbereich dazu führen, dass die Gehaltsforderungen entsprechend weiter steigen werden. Die Digitalisierung/Automatisierung wird die Berufsbilder weiterhin verändern – hier ist es wichtig, interne wie externe Fachkräfte entsprechend (nachträglich) zu qualifizieren; dies erfordert natürlich eine entsprechende Tool-Landschaft.

Gerald Fahnenbruck: Denn die Arbeitswelt befindet sich auch in den Finanzabteilungen im Umbruch und wir stehen vor großen technologischen Sprüngen, die Arbeitsweisen massiv verändern werden. Jobs im Bereich Finance und Controlling sind also spannender und moderner denn je. Diese Botschaft müssen Firmen und Mitarbeitende in diesem Bereich nach außen tragen, um das Berufsbild für junge Menschen attraktiver zu machen. 

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Stichwort Contracting. Viele Unternehmen setzen mittlerweile auf externe Expertise und Beratungsboutiquen, um sich Know-how für bestimmte Projekte und ausgewählte Ressourcen an Bord zu holen. Worauf muss bei der Besetzung von hoch qualifizierten Selbstständigen geachtet werden?

Erich Schwinghammer und Gerald Fahnenbruck

Gerald Fahnenbruck: In der Besetzung von externen Fachkräften und dem Einsatz von Beratungsboutiquen für Projekte und Interim-Mandate gibt es signifikante Unterschiede zum „klassischen Rekrutierungsprozess“.

Im Kern geht es um den Einkauf einer Dienstleistung für ein zeitlich befristetes Projekt sowie um den Ablauf, die Interviews, die Beauftragung als auch eine regelkonforme Projektdurchführung.

Die Beauftragung läuft in den meisten Fällen direkt über die Führungskräfte in den Fachbereichen. Vor allem bei größeren Konzernen wird oft auch der Einkauf involviert, zum Beispiel zur Erfüllung von Ausschreibungsregularien und der vertraglichen Abwicklung und Durchführung der Bestellung. Nur in seltenen Fällen sind die HR-Abteilungen im Prozess federführend. Daher ist die vorherige Abklärung der Zuständigkeiten im Unternehmen ein Muss.

Hier einige weitere erfolgskritische Faktoren:

  1. Geschwindigkeit
    Oft ist eine externe Fachkraft schon innerhalb weniger Tage an Bord. Es gilt daher interne Freigaben, Prozessschritte und Budgets schon vor der Anfrage an eine Agentur wie Hays oder die externe Fachkraft abgeklärt zu haben.
     
  2. Auftragsklärung – das A und O für ein gelungenes Projekt:
    Was brauche und möchte ich als Kunde überhaupt?
    Welche Aufgaben und Leistungspakete möchte ich nach außen vergeben und warum?
    Was sind meine Erwartungen und Deliverables an eine externe Fachkraft?
     
  3. Compliant Sourcing
    Zudem geht es um eine regelkonforme Ausgestaltung flexibler Arbeitsformen im Dienstvertrag.
    Bei Hays haben wir zum Beispiel Teams, die unsere Kunden zu diesem Thema beraten und Risiken minimieren.
     
  4. Pitch des Unternehmens/Projekts
    Die externen Fachkräfte sind begehrt. Oft liegen einem Experten oder einer Expertin sogar parallel zehn verschiedene Kunden-/ Projektanfragen vor. Sie stehen also auch hier im Wettbewerb mit vielen anderen Unternehmen.
    Begeistern Sie daher die Person im Interview von Ihnen, dem Projekt und dem Umfeld.
    Schaffen Sie auch für externe Fachkräfte ein attraktives Arbeitsumfeld, wie z. B. Remote-Fähigkeit. Punkten Sie mit einer klaren Erwartungshaltung und einem gut „geshapten“ Auftrag.

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