Life Sciences-Branche: „Seit August ist der Markt wieder stark in Bewegung“

Frau Heise, im Rückblick auf die vergangenen Quartale zeigt der Hays-Fachkräfte-Index insbesondere bei Positionen im Bereich Biologie/Chemie ordentliche Nachfrage-Schwankungen. Worauf lässt sich das Ihrer Ansicht nach zurückführen?
Diese Frage lässt sich besonders gut am Beispiel von Corona erklären. Der pharmazeutische Markt ist in den vergangenen zehn Jahren massiv gereift. Er konzentriert sich mittlerweile stark auf biotechnologische Präparate. Auch im Bereich der RNA-Impfstoffe ist diese rasante Entwicklung festzustellen. Aufgrund der Möglichkeit, auf Basis neuer Methoden komplett neue Medikamente herzustellen, sind natürlich Biologinnen und Biologen sowie Chemiker und Chemikerinnen sehr gefragt. Aber dieser sukzessive Nachfrageanstieg hat noch weitere Ursachen: beispielsweise Verunreinigungsskandale wie der Nitrosaminenvorfall. Hier brauchen Unternehmen Chemikerinnen und Chemiker, die die Probleme lösen können.
Im zweiten Quartal 2022 scheinen die Unternehmen der Pharmaindustrie deutlich zurückhaltender in ihren Stellenausschreibungen zu sein (- 53 Prozentpunkte). Welche organisatorischen und auch wirtschaftlichen Beweggründe sind dafür verantwortlich?
Hier tickt die Pharmaindustrie ähnlich wie andere Industrien. Nach zwei Jahren absoluter Hochphase braucht die Branche eine kurze Verschnaufpause, um sich neu zu sortieren und zu schauen, wo der personelle Fokus liegen wird. Seit August ist aber der Markt wieder stark in Bewegung und die Anfragen nehmen massiv zu.
Gibt es aus Ihrer Sicht Positionen, die trotz des leichten Rückgangs dauerhaft auf hohem Niveau nachgefragt werden? Und um welche Kompetenzen geht es dabei hauptsächlich?
Die Pharmaindustrie braucht konstant IT-Fachkräfte, und zwar in großen Mengen. Beispielsweise im Bereich Netzwerke, SAP und Industrialisierung sind Fachkräfte sehr gefragt. Denn die Pharmaindustrie hängt in der Digitalisierung leicht zurück und hat hier noch einige To-Dos auf dem Zettel, die es in den kommenden Jahren abzuarbeiten gilt. Aber seit gut 24 Monaten beobachte ich auch eine starke Nachfrage nach Analytikerinnen und Analytikern sowie Fachkräften in der Biotechnologie und Biologie.

Apropos Kompetenzen: Beobachten Sie aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels, dass Unternehmen Abstriche im Job-Matching machen? Wo genau verzichten sie auf den Perfect-Fit?
Insbesondere wenn es um projektbezogene Positionen geht, wünschen sich Unternehmen nach wie vor den 100 %-Kandidaten oder Kandidatin. Es fällt auf, dass aber auch der persönliche Fit einen immer größeren Stellenwert bekommt. Mein Eindruck ist, dass Kundenunternehmen bei „unwichtigeren“ Kompetenzen, zum Beispiel Fähigkeiten, die für ein Projekt nicht unbedingt nötig sind, Abstriche machen, solange der persönliche Match passt.
Welchen Ratschlag haben Sie für Ihre Auftraggebenden, um dauerhafte Vakanzen auf Schlüsselpositionen zu schließen?
Der beste Rat ist es, sich regelmäßig einen Überblick über die vorhandene Workforce zu verschaffen, und zusätzlichen Personalbedarf so früh wie möglich zu antizipieren, damit Engpässe gar nicht erst entstehen. Je mehr Zeit ich habe, um mir die richtigen Kandidaten zu suchen, umso mehr zahlt es sich am Ende für den perfekten Match aus. Außerdem sollte die Personalplanung einen wichtigen strategischen Punkt einnehmen.