Innovation in der Weiterbildung: Wie trennt man die Spreu vom Weizen?

Haben Sie schon mal vom „Shiny-new-object“-Syndrom gehört? Dazu gibt es sogar einen Wikipedia-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/Shiny_object_syndrome
Wenn nicht, kennen Sie das Phänomen aber sicher aus eigener Erfahrung: Ein neuer Trend, eine neue Technologie oder eine neue Methode zieht allein durch die Tatsache, dass es etwas Neues ist, alle Aufmerksamkeit auf sich und überlagert rationale, gut begründete Gegenargumente. „Bullshit-Bingo“ nennt man das manchmal herablassend, aber entziehen kann man sich dem dann ja doch nicht so ganz. Einerseits ist es der Innovationsdruck, der tatsächlich und gefühlt auf Unternehmen lastet und diesem Phänomen immer wieder Vorschub leistet, andererseits aber wohl auch die in allen Unternehmen verbreitete, zwanghafte Geschäftigkeit – Aktivität gilt oft per se als etwas Gutes, Passivität ist etwas für Verlierer. In unklaren Situationen – so lehren es auch viele Führungskräftetrainings – ist es besser zu handeln als nichts zu tun. Denn auch wenn sich durch das Handeln selbst nichts verbessert, fühlen wir uns doch immerhin besser. Diese aktionistische Logik haben viele Führungskräfte verinnerlicht, weil auch viele Belohnungssysteme und Karrierepfade (nicht nur) in Konzernen auf Aktivität ausgelegt sind. Auch im Lernkontext stoßen wir auf dieses Phänomen – bei Europas größter Messe zum Thema Digitales Lernen, der „LearnTec“, konnte ich es gerade selbst wieder beobachten: Virtual & Augmented Reality ist der Renner. Sind Sie schon im „Metaverse“? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit, denn natürlich braucht „New Work“ auch „New Learning“ und... Sie ahnen es, wer nicht mitmacht, wird abgehängt.
Aber der Reihe nach. Richtig ist, dass wir auch im Umfeld Learning & Development mit der Zeit gehen sollten. Moderne Technologien ermöglichen tatsächlich bemerkenswerte Fortschritte hinsichtlich Skalierbarkeit, Zugang, Automatisierung und Personalisierung von Lerninhalten und Lernsettings. Bei Hays nutzen wir die Möglichkeiten digitaler Lernformate bereits sehr erfolgreich. Nicht nur die junge Zielgruppe profitiert von Lernvideos und virtuellen Trainings; eine größere Vielfalt an Lehrmethoden bedeutet auch, der Vielfalt des Lernverhaltens der Zielgruppen besser Rechnung tragen zu können. Aber wie unterscheidet man das Hilfreiche vom Unnützen, wie trennt man die Spreu vom Weizen?
Solange wir uns nur in einem Punkt einig sind: Nicht das Lernen an sich verändert sich (die Hardware, die wir dafür nutzen, unser Gehirn, arbeitet seit Zehntausenden von Jahren auf die gleiche Weise), sondern die Lerngelegenheiten, die Lerngewohnheiten und die Lernunterstützung bei der Arbeit.
Die Fülle an technologischen Möglichkeiten kann Entscheiderinnen und Entscheider in den Bereichen Human Ressources und Personalentwicklung überfordern. Umso wichtiger ist hier ein Learning-Innovation-Management, das ein Framework bietet, anhand dessen man die Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit technologischer und methodischer Innovationen bewerten kann.
Wir haben ein dreiteiliges Konzept dafür entwickelt:

1. Lernstrategie als Grundlage
Erstaunlich wenige Unternehmen haben jemals für sich die Frage beantwortet: Wie wollen wir zukünftig lernen? Wie, glauben wir, funktioniert Lernen eigentlich? Und haben wir unsere Aufbau- und Ablauforganisation konsequent daran ausgerichtet?
In unserem Fall sind die vier Axiome Personalisierung, Dezentralisierung, Automatisierung und Selbststeuerung. Alle Innovationen, die aus eigener Recherche oder aus dem Unternehmenskontext eingespielt werden, müssen anhand dieser Axiome auf ihre Eignung für die Lernstrategie bewertet werden: Wie zahlt dieses Tool, diese Methode, diese Technologie auf unsere Lernstrategie ein? Woran machen wir den Mehrwert fest? Was spricht aus unserer Sicht dagegen? Gibt es für die Lösung, die dieses Tool bietet, überhaupt ein passendes Problem? Was ist eigentlich der Use Case?
Hays bewegt sich in einem hochkompetitiven Marktumfeld, zugleich wächst unser Portfolio seit Jahren rasant – längst sind wir kein reines Personaldienstleistungsunternehmen mehr, sondern beraten in zunehmendem Maße unsere Kundenunternehmen strategisch und partnerschaftlich: Workforce Management, Managed Service Providing, Werkverträge, Beratungsleistungen auf C-Level u.v.m. Das stellt unsere Mitarbeitenden vor neue Entwicklungsaufgaben und uns als PE-/L&D-Einheit vor die Herausforderungen, nicht nur unser Lernangebot zu erweitern, sondern immer wieder kritisch dahingehend zu hinterfragen, wie wir für die Herausforderungen der digitalen Welt zentrale Zukunftskompetenzen bei unseren Mitarbeitenden entwickeln wollen: Neugierde, Zusammenarbeit, Kreativität, emotionale Intelligenz, kritisches Denken. Während die Unternehmensstrategie eine Vision und klare Ziele formuliert, sollte unserer Meinung nach eine (nachgeordnete) Lernstrategie fluider bleiben. Sie ist weniger ein GPS als ein Kompass – sie zeigt die Richtung an, nicht das Ziel.

2. Enge Abstimmung im Haus
Unser hauseigenes Hays Lab scoutet Innovation, bewertet sie und treibt ggf. ihre Implementierung voran. Aber nicht nur in Innovation-Labs entstehen gute Ideen – hier ist ein enger Austausch unerlässlich. Sind die Rollen im Haus geklärt? Ist jeder Einheit klar, aus welcher Perspektive sie auf Innovationen schaut und mit welcher „(unternehmens-)politischen“ Agenda? Transparenz, Regeltermine und persönliches Vertrauen erleichtern dieses Vorgehen ungemein. Aber es darf nicht zu einem Kompetenzwirrwarr kommen – hier ist das Senior- und Top-Management gefragt, Rollen und Aufträge klar abzugrenzen und Einheiten nicht gegeneinander auszuspielen.

3. Ein abgestimmtes Vorgehen zum Prozess der Bewertung und Implementierung von Innovationen
In der Regel besteht kein Mangel an neuen, innovativen Ideen – es scheitert aber oft an der Umsetzung. Neben Feasability, Usability und Desirability einer Innovation steht gleichrangig die Frage nach der Implementierung. Ist diese Idee, so gut sie ist, überhaupt realistisch im Unternehmen umsetzbar? Wer sind die internen Stakeholder, die es zu überzeugen und zu koordinieren gilt? Unternehmenspolitik geschickt zu navigieren, wird oft über den Erfolg einer Idee entscheiden. Wie kommunizieren wir Innovationen im Unternehmen und wecken Interesse und Begeisterung – und inspirieren zur Nutzung? Wie werten wir dann das Nutzungsverhalten aus und passen ggf. unsere Prozesse entsprechend an?
Auch hier hat sich ein iteratives Vorgehen bewährt In enger Abstimmung mit unserer Zielgruppe führen wir regelmäßig Pilottrainings und -veranstaltungen durch, um Innovationen so von mehreren Seiten zu bewerten. Zentral dabei ist, die Zielgruppe von Anfang an in den Implementierungsprozess zu integrieren und Ergebnisse sauber zu dokumentieren und auszuwerten. Wer neue Technologien ins Feld führen will, braucht dafür einen „data-driven decision making process“ – Bullshit-Bingo lässt grüßen, aber hier ist das ganz ernst gemeint.
Entwicklungen im „Elfenbeinturm“ schaden nicht nur dem Ansehen der beteiligten Personen, sondern auch dem Prozess selbst. Begeisterungsfähige Menschen sind gut beraten, einen Schritt nach dem anderen zu machen und sich immer wieder die Frage zu stellen: Wie lautet das Feedback der Zielgruppe? Sodann ist ein gewisses Maß an Demut nötig, denn auch der innovativste Kopf muss bereit sein, von einer liebgewonnen Idee abzulassen, wenn sich abzeichnet: Das kommt nicht an, die Zielgruppe will es nicht.
Ford sagte: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Ja, einerseits. Andererseits gilt aber auch: Menschen haben ein intuitives Gespür dafür, was sie brauchen, was sie voranbringt – und was nicht. Wollen wir Menschen ernst nehmen, müssen wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und das heißt eben auch ein „Nein“ zu akzeptieren. Solange man es hinterfragt und (alte Change-Weisheit) Betroffene zu Beteiligten macht, sie also eng einbindet. Learning Innovation Management ist so gesehen zu etwa gleichen Teilen Marketing, Stakeholdermanagement, Business Case Building und Learning Analytics.
Die in diesem Blog geäußerte Zurückhaltung bezieht sich insofern weniger auf die Technologie selbst als auf die unreflektierte Begeisterung für „das Neue“ – die L&D-Funktion ist der besonnenen und systematischen Einbringung und Bewertung von Innovationen verpflichtet, um einen Beitrag zur Zukunftssicherheit der Organisation zu leisten. Dazu gehört neben Offenheit und Neugier auch eine gesunde Portion Skepsis – und ein sauberes Framework, anhand dessen man sich orientiert.
Sie möchten die Zukunftssicherheit Ihrer Organisation jetzt angehen? Wir unterstützen Sie gerne mit unserem Lernmanagement System und Onlinekursen von namenhaften Unternehmen. Mehr Informationen erhalten Sie unter: https://de.hayslearning.eu/ oder hayslearning@hays.de