Arbeitswelt & Karriere

Digitale Souveränität statt digitaler Kontrolle

Die einst etablierte Trennung zwischen Büro und Privatleben löst sich zunehmend auf – Unternehmen richten ihre Arbeitskulturen sukzessive im Hybrid-Modus aus. Wie sich aber letztlich die Arbeitsweisen individuell einpendeln, entscheidet die Führung der Mitarbeitenden. Dazu wurden Führungskräfte und Beschäftigte in zwei separaten Studienteilen befragt.

Ganze 84 Prozent der rund 750 befragten Entscheiderinnen und Entscheider aus der Hays-Studie „Zwischen Vertrauen und Kontrolle“ sind sich einig: Im Zuge des digitalen Wandels wird das ortsunabhängige Arbeiten fester Bestandteil einer neuen Arbeitswelt werden. Daher hat  die Mehrheit von ihnen auch schon damit begonnen, Homeoffice-Regelungen für ihre Mitarbeitenden einzuführen. Als klarer Favorit kristallisiert sich bei den meisten Unternehmen ein Mix aus drei Tagen Büropräsenz und zwei Tagen Homeoffice heraus. Denn viele Organisationen sind momentan bestrebt, den goldenen Mittelweg zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und ihren eigenen zu finden.

Im Spannungsfeld zwischen Regeln und Freiräumen

Soweit der Anspruch. Die Umsetzung in die Praxis erweist sich dabei jedoch alles andere als leicht. Denn einerseits brauchen Hybrid-Modelle gewisse Regeln, an denen sich die Beschäftigten orientieren und ihre Tätigkeiten ausrichten können. Andererseits sollen diese Vorgaben wiederum flexibel genug sein, um sie auf die individuelle Arbeitssituation eines jeden Mitarbeitenden anwenden zu können. Dieser Balanceakt erfordert eine veränderte Führungspraxis. Denn kaum noch jemand kann sich eine vollständige Rückkehr in den Präsenz-Modus vorstellen, aber genau darauf waren bisherige Führungsmuster ausgelegt.

Anders ausgedrückt: Nachdem sich viele Führungskräfte in der Pandemie erst einmal auf die rein technologische Transformation, also die Digitalisierung von Prozessen, konzentrieren mussten, geht es jetzt darum, dass sie sich mit ihrer eigenen Transformation auseinandersetzen.  Dazu gehört vor allem, zu lernen, in neue Rollen und Verantwortlichkeiten hineinzuwachsen.

Motivieren statt kontrollieren

Das für sich genommen ist schon eine gewaltige Aufgabe.  Vor allem für diejenigen, die mit fehlender räumlicher und persönlicher Nähe zu ihren Mitarbeitenden Probleme haben (76 Prozent). Laut Erhebung versuchen sie, dieses Manko umständlich über kleinteilige Vorgaben und Kontrollen zu kompensieren. Tatsächlich lässt sich so manche Führungskraft noch tägliche Tätigkeitsnachweise per Excelliste schicken. Und nur rund ein Drittel der Führungskräfte gesteht seinen Mitarbeitenden überhaupt eigenständige Entscheidungen und Verantwortung zu.

Ohnehin hat sich der hybride Arbeitsalltag in der Coronakrise als Lackmustest für die Praxistauglichkeit unterschiedlicher Führungsstile erwiesen. Beispielsweise tendiert knapp die Hälfte der Befragten in Richtung eines partizipativ-kollaborativen Führungsstils. Diese Führungskräfte möchten motivierend von ihren Mitarbeitenden wahrgenommen werden.  52 Prozent der befragten Vorgesetzten nehmen es mit der Mitarbeiterführung hingegen lieber etwas genauer. Sie wollen nach wie vor minutiös verfolgen, wann und wo die Beschäftigten arbeiten. Fast könnte man glauben, ihnen gehe es in erster Linie um den gestrafften, gut durchorganisierten Arbeitsprozess und die Effizienzsteigerung, nicht um die Mitarbeitenden selbst.

Entlang dieser und weiterer Verhaltensweisen der befragten Führungskräfte haben die Studienverfassenden drei wesentliche Führungstypologien entwickelt: Vorgesetzte mit einem sehr stark ausgeprägten Kontrollempfinden werden als „Performance Manager und Managerinnen“ charakterisiert. Zwar setzen sie einerseits auf Motivation und persönliche Betreuung, zeichnen sich aber andererseits durch lästiges Micro-Management aus. Eine zweite, deutlich kleinere Gruppe (30 Prozent), in der vor allem Großkonzerne vertreten sind, setzt hingegen auf „Employee Empowerment“. Die Führungskräfte lassen die Mitarbeitenden an der langen Leine und reagieren auf die Pandemie mit Gelassenheit und Offenheit. Hier hat die Belegschaft viele Freiräume; Führungskräfte setzen auf Selbstständigkeit und Eigenmotivation. Die dritte und mit Abstand kleinste Gruppe (18 Prozent) setzt hingegen auf „Business as usual“ und sieht keinen Anlass, sich zu verändern.

Auch die Mitarbeitenden (1.000 befragte Personen) haben sich den Umgang mit ihren Vorgesetzten anders vorgestellt. Zwar wünschen sie sich bei der standortunabhängigen Arbeit klare Vorgaben von ihren Vorgesetzten, aber bitte ohne permanente Kontrolle. Ihnen geht es vielmehr um die Haltung der Führungsverantwortlichen. Sie brauchen das Gefühl von Sicherheit, mit ihren Aufgaben auf dem richtigen Pfad zu sein, und fordern genau deshalb einen klaren Rahmen – innerhalb dessen sie sich jedoch eigenständig und selbstverantwortlich bewegen wollen, ohne bei jeder Kleinigkeit Rücksprache zu halten oder Rechenschaft ablegen zu müssen.

Was die größte Gruppe in der Befragung, die Performance Manager und Managerinnen, offenbar noch nicht durchdacht hat: Je unvorhersehbarer Aufgabenfelder werden, desto weniger funktionieren Kontrollen. Zumal diese jegliche Eigenverantwortung und Motivation ausbremsen. Genau die aber brauchen die Beschäftigten, wenn sie nicht mehr ganz so eng im Teamverbund vor Ort arbeiten (45 Prozent).

Zwischen Vertrauen und Kontrolle: Was Führungskräfte aus der Krise gelernt haben und was Mitarbeitende von ihnen erwarten

Die letzten 18 Monate haben die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Der Wechsel ins Homeoffice, die Einführung hybrider Arbeitskonzepte und die intensive Nutzung von Videokonferenz-Tools sind für viele Unternehmen fester Bestandteil des Arbeitsalltags geworden. Inwiefern haben diese Entwicklungen zu einer veränderten Führungskultur geführt und wie nehmen die Führungskräfte selbst die neue Arbeitsrealität wahr? Antworten auf diese Fragen liefert die aktuelle Studie „Zwischen Vertrauen und Kontrolle“, die Hays in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Rheingold erstellt hat. Hierzu wurden branchenübergreifend 750 Führungskräfte aus Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden online und in explorativen Interviews befragt. Die aktuelle Befragung baut auf der Studie „Anpassung an eine neue Realität – Führung unter Corona“ aus dem letzten Jahr auf.

Die komplette Studie kann hier heruntergeladen werden:

Beschäftigte fühlen sich austauschbar

Zwar gelang es einigen Unternehmen über digitale Tools, so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl „auf Distanz“ herzustellen. Dennoch erlebt ein nicht unerheblicher Teil der befragten Mitarbeitenden die Führung im hybriden Modus als belastend. Ihre Führungskräfte treten lediglich über digitale Kontrollen mit ihnen in Kontakt. Ein Zustand, der bei 45 Prozent das Gefühl von Austauschbarkeit erweckt. Hier braucht es seitens der Führung mehr Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Denn wer sich nur noch als Teil des digitalen Hamsterrads fühlt und wenig Wertschätzung erfährt, wird über kurz oder lang das Unternehmen verlassen.

Wir-Gefühl sorgt für mehr Bindung

Führungskräfte tun also gut daran, dieser negativen Entwicklung frühzeitig vorzubeugen. Dabei sollten sie sich stets fragen, ob der Frust der Mitarbeitenden tatsächlich nur am Homeoffice liegt oder ob es nicht doch um die Arbeitskultur insgesamt geht. Denn wo Kolleginnen und Kollegen sich generell misstrauen, verstummt das Gespräch im Homeoffice ganz. Und wo Vorgesetzte der Devise folgen, der digitale Auftrags-Check sei Lob genug, dort stirbt die Motivation auf der Distanz erst recht. Immerhin hatten 63 Prozent der befragten Beschäftigten das Gefühl: „Wir sitzen in einem Boot und ziehen an einem Strang.“ Hier werden digitale Tools und Instrumente dafür genutzt, offen und aufrichtig den persönlichen Austausch zu stärken. Dazu gehört neben der Kommunikation zum gemeinsam Erreichten sicherlich ebenso, dass eine Führungskraft auch einmal eingesteht, selbst ratlos zu sein. „Entscheiderinnen und Entscheider, die das verstanden haben, ernten Wertschätzung und Anerkennung auf ganzer Linie, ganz ohne Kontrollen.“

Kurzinterview mit Dr. Elke Frank, Personalvorständin der Software AG zu den Ergebnissen der Hays-Studie „Zwischen Vertrauen und Kontrolle“.

Foto: Software AG

„Frau Dr. Frank, was glauben Sie, wie weit werden „Performance Manager oder Managerinnen“ mit ihrem Führungsstil in der hybriden Arbeitswelt kommen?“

Auf lange Sicht scheint mir dieser Führungstyp zum Scheitern verurteilt zu sein. Er baut zwar durch die Motivation Vertrauen auf, das er aber durch die anschließende Kontrolle mittels digitaler Instrumente gleich wieder zunichtemacht. Man könnte sagen: Die grobe Richtung stimmt, wird aber langfristig nicht ausreichen.

„Warum bezweifeln Sie das?“

Ganz einfach, weil das gelebte Führungsverständnis maßgeblich zur Attraktivität des Unternehmens beiträgt, denn wir befinden uns seit Jahren im viel zitierten war for talents. Kandidatinnen und Kandidaten, die sich nicht mit diesem ambivalenten Führungsstil anfreunden können, suchen sich eben Betriebe, in denen ein Führungsstil gepflegt wird, der ihren Werten entspricht. Alle Unternehmenslenker und -lenkerinnen, die hier nach wie vor auf das Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ setzen, haben im Markt der Kandidatinnen und Kandidaten auf lange Sicht schlechte Karten.

„Wie kann denn der Spagat zwischen klaren Vorgaben und individuellen Freiräumen im Hybrid-Modus überhaupt gelingen?“

Das ist tatsächlich die große Kunst, die Führungskräfte teils noch erlernen und üben müssen. Generell sollte jede Führungskraft für ihre Mitarbeitenden einen Arbeitsrahmen abstecken, denn am Ende des Tages müssen Ziele erfüllt werden. Wenn man sich nicht täglich im Büro sieht, brauchen Vorgesetzte erst recht Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden. Das heißt, sie müssen vor allem lieb gewonnene Gewohnheiten „loslassen“, zum Beispiel das letzte Wort haben zu wollen oder immer die richtige Entscheidung parat zu haben. Es geht vielmehr darum, gemeinsam über die wichtigen Themen zu diskutieren und Entscheidungen auch mal zu revidieren. Wenn Sie wüssten, wie oft ich das in den vergangenen zwei Jahren bereits gemacht habe. Dieser eher kollaborative Führungsstil fällt vielen Entscheiderinnen und Entscheidern allerdings noch sehr schwer, denn es bedeutet für sie nicht zuletzt auch Verzicht auf Macht.

„Und ebenso Vertrauen aufzubauen. Wie kann das auf Distanz funktionieren?“

Auch wenn es etwas abgedroschen klingen mag: Hier geht es maßgeblich um die richtige Kommunikation zum richtigen Zeitpunkt. Uns stehen heute eine Vielzahl an digitalen Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten zur Verfügung. Für uns gilt: Man kann nicht zu viel kommunizieren. Führungskräfte sollten nicht immer auf das große Monats-Meeting setzen, sondern auch mal auf eine SMS-Nachricht oder ein Telefonat zwischendurch. Und vor allem ihre Mitarbeitenden auch mal fragen: Wie geht es dir und deiner Familie? Diese soziale Facette fällt vielen noch schwer. Aber nur wenn mich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter persönlich interessiert, ich die individuellen Wünsche und Nöte ernst nehme, kann ich Vertrauen aufbauen.

„Kommen wir zur Software AG: Wie sieht denn Ihr Konzept für das hybride Arbeiten konkret aus?“

Das Ganze trägt bei uns den Namen hybrid working, wobei wir darunter mehr als Homeoffice verstehen. Im Grunde gibt es drei große Schwerpunkte. Als erstes möchte ich die räumliche und zeitliche Unabhängigkeit im Zusammenspiel mit der Office-Präsenz nennen. Das bedeutet konkret, dass Mitarbeitende bis zu drei Tage von überall aus arbeiten können, an den restlichen Tagen sollten sie vor Ort im Büro sein und sich idealerweise im Team austauschen. So profan es klingen mag: Dazu gehört, zweitens, für uns auch eine Top-IT-Ausstattung. Denn wenn das technische Fundament nicht stimmt, können undurchsichtige Workflows und Dateiablagen schnell zum großen Problem werden. Und zum Dritten beschäftigen wir uns mit der Frage: Wie wird das Büro der Zukunft aussehen? Hier geht es uns darum, im hybriden Zeitalter das Office so zielgerichtet wie möglich an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden anzupassen, auch natürlich, um „sozial“ aufzutanken und sich einmal wieder direkt im Team auszutauschen. Denn Excel-Tabellen kann man auch zu Hause ausfüllen. 

„Apropos auftanken, damit möchten Sie einer hohen Arbeitsbelastung und einem schwindenden Teamgefühl im Homeoffice entgegenwirken?“

Ja, unbedingt. Zwar teile ich die Auffassung vieler Führungskolleginnen und -kollegen, dass man zu Hause sehr produktiv ist. Dennoch müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, unter welchen Bedingungen unsere Mitarbeitenden dauerhaft kreativ sein können. Denn Kreativität über einen kleinen Bildschirm ist auf Dauer sehr anstrengend. Da brauchen wir regelmäßig Gelegenheiten, um unsere „mentale Frische“ aufrechtzuerhalten.

Wir bei der Software AG haben dafür als eine Maßnahme beispielsweise den Meeting Free Monday eingeführt. Diesen Tag sollen und können alle Mitarbeiter gezielt dafür nutzen, sich neu zu strukturieren und zu fokussieren. Das beherzigen zugegebenermaßen noch nicht immer alle, weshalb ich auch meine Vorstandskolleginnen und -kollegen ab und an erinnern muss. Denn erst wenn wir es als Vorstandsmitglieder vorleben, machen es auch unsere Teams. Ein wichtiger Baustein für die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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Silvia Hänig

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