Arbeitswelt & Karriere

Qua­li­ta­ti­ves Job-Mat­ching: Die schwier­ige Be­set­zungs­frage

Unternehmen sind mehr denn je darauf angewiesen, gute Leute zu finden und zu binden. Und lockern dafür zunehmend ihre Stellenanforderungen. Das birgt Chancen für neue Zielgruppen.

Schon lange ist Bewerbenden wie auch suchenden Unternehmen klar: Die idealtypischen Kandidatinnen und Kandidaten, wie sie in den meisten Stellenausschreibungen gesucht werden, gibt es nicht. Das Gros der Werdegänge sieht anders aus und entspricht nicht den angelegten Karriere-Schablonen aus den Stellengesuchen. Das wissen auch die Unternehmen und lockern daher berufsspezifisch ihre Anforderungen, wenn es darum geht, die Position möglichst schnell zu besetzen. Selbst in akademischen Berufen wie Ärztin oder Versuchsingenieur reicht es heute, wenn weniger als zwei Drittel der im Stellenprofil genannten Anforderungen von Kandidatinnen und Kandidaten erfüllt werden.

Diesen Trend hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Zusammenarbeit mit Hays für 279 unterschiedliche Berufsbilder im Zeitraum von 2018 bis 2022 anonymisiert analysiert. Man erkennt darin, dass neue Mitarbeitende insgesamt weitaus weniger auf eine Stelle passen müssen, als es noch vor Jahren der Fall war. Beziffert werden diese Abstriche mit 60,5 Prozent im Jahr 2018 und 58,4 Prozent in 2021. Aber warum ist das so? Und welche Chancen entstehen aus dieser Entwicklung für Bewerbende, die bisher nicht die erste Wahl waren?

Technische Jobs brauchen eine gute Passung

Natürlich braucht es je nach Berufsbild immer noch eine gute Portion Fachwissen. Laut Erhebung ist das vor allem in der IT-Industrie der Fall, wo die fachliche Passung in klassischen IT-Berufen wie beispielsweise SAP-Beraterinnen und -berater (70 Prozent) oder Business Analystinnen und Analysten (63 Prozent) die höchsten Werte aufweisen. Darüber hinaus sind IT-Skills wie das Beherrschen von Programmiersprachen oder Erfahrung mit der Einführung einer neuen Software unabdingbar, um die Tätigkeit überhaupt erfolgreich ausführen zu können. Schließlich hängt von diesen Kenntnissen häufig die Performance ganzer Unternehmensbereiche ab. Eine mittelmäßige oder geringe Passung eines Kandidaten könnte hier fatale Folgen haben. Gleichzeitig steckt im meist sehr ausdifferenzierten IT-Stellenprofil auch eine Gefahr, die sich oft erst beim Aufeinandertreffen zwischen Bewerbenden und Stellenanzeige herausstellt.

Pietro Ferro, Abteilungsleitung Recruitment bei der Otto Group

Neue Bezeichnungen sorgen für einen Mismatch

Denn gerade technologiegetriebene Stellenbeschreibungen zu relativ neuen Berufsbildern haben häufig den Nachteil, dass Kandidatinnen und Kandidaten nicht genau verstehen, was von ihnen erwartet wird, sich aber dennoch bewerben.  „Wir sehen Abweichungen im Match insbesondere bei Tech-Jobs auftreten, die von außen nicht immer sofort für alle Bewerbenden inhaltlich klar fassbar sind“, so Pietro Ferro, Abteilungsleitung Recruitment bei der Otto Group. Als Beispiel nennt er das Berufsbild des „Senior CGI Artist“, der sich durch ausgefeilte Kenntnisse im Bereich Computer-Animation beispielsweise deutlich vom klassischen Grafiker unterscheidet. Denn bedingt durch die schnelle Weiterentwicklung digitaler Technologien, ändern sich solche Stellenprofile viel rasanter, als Studien- und Ausbildungsgänge nachkommen.  Auch vor den sich verändernden Anforderungen an die Personalarbeit macht diese Entwicklung nicht Halt. „Der Bereich People Analytics ist noch sehr jung und setzt Personaldaten zu Unternehmensdaten in Beziehung. Die Teams, die daran arbeiten, setzen sich beispielsweise aus Expertinnen und Experten der Fachbereiche KI-Entwicklung, Psychologie, Mathematik und HR zusammen. In den Stellenanzeigen sind daher auch ‚Kombistudienfächer‘ immer gefragter“, weiß Anke Brinkmann, Geschäftsbereichsleitung für Arbeitssicherheit und Personalfürsorge bei der Autobahn GmbH und verweist gleichzeitig auf die Chancen für Fachkräfte, die entstehen, wenn Bewerbendenprofile und Stellenanforderungen sich tendenziell immer weiter voneinander entfernen. „In der Privatwirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst stehen die Chancen für Quereinsteigende aktuell sehr gut. Obgleich wir feststellen, dass im öffentlichen Sektor die ‚Formalvoraussetzungen‘ für den Einstieg häufig mit wenig Flexibilität einhergehen. Aus diesem Grund schauen wir bei den Qualifikationen genauer hin“, so Brinkmann weiter.

Anke Brinkmann, Geschäftsbereichsleitung für Arbeitssicherheit und Personalfürsorge bei der Autobahn GmbH

Stellenbeschreibungen sind zu vergangenheitsbezogen

Ganz andere Erfahrungen hat Dr. Nina Gillmann, Geschäftsführerin des Tandem-Anbieters Twise beim Job-Matching gemacht.  „Unserer Ansicht nach sind die Ursachen für einen abnehmenden Job-Match meist hausgemacht.“ Sie stellt fest, dass Stellenbeschreibungen generell noch viel zu stark an der klassischen Ausbildung für den Job ausgerichtet werden. Welche Herausforderungen auf eine zu besetzende Position aber in Zukunft zukommen, spielt in den meisten Stellenanforderungen kaum eine Rolle. Was wiederum zur Folge habe, dass sich auf diese Positionen nur Menschen bewerben, die ihre beruflichen Erfahrungen aus der Vergangenheit anwenden, sich aber möglicherweise nicht weiterentwickeln möchten. Spielräume für Fähigkeiten jenseits des gesuchten Profils, wie zum Beispiel persönliche Interessen und Kompetenzen – Fehlanzeige. „Unsere Kandidatinnen wollen mit dem Jobwechsel auch einen persönlichen Entwicklungsschritt machen. Es geht vor allem um neue Arbeitsumfelder und auch Führungsverantwortung“, so Gillmann.  Das würde im Kontext der Personalauswahl bedeuten, dass sich Unternehmen künftig genau überlegen müssen, in welchen Kompetenzbereichen Zugeständnisse akzeptabel sind, in welchen nicht, und welche Potenziale im Bereich der persönlichen Fähigkeiten noch gehoben werden können.

Geschäftsführerin des Tandem-Anbieters Twise

Ein Artikel von Silvia Hänig

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