Menschen & Meinungen

Die Überflieger

Foto: srg werbeagentur ag
Wenn Ulrich Kiesow und Michael Voselek mit ihrem Fluggerät in die Luft gehen, sieht das nach reinem Freizeitspaß aus. Dabei haben die beiden nur die Suche nach Bodendenkmälern im Sinn. Wie sie aus der Luft erkennen, was sich unter der Erde verbirgt? Getreidefelder und ihre Strukturen verraten – fast – alles.

Weizen steht eng und hat tiefe Wurzeln. Genau das macht ihn für Kiesow und Voselek so interessant. „Die Pflanze liefert die Informationen über die Verhältnisse im Boden. Stoßen die Wurzeln an ein Steinfundament, trocknet das Getreide schneller aus, verändert die Farbe und wächst kürzer. Die unterirdischen Strukturen, die sich dadurch zeigen, wären vom Boden aus gar nicht sichtbar“, sagt Kiesow. Gemeinsam mit Voselek erkundet er seit 2002 ehrenamtlich für die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz vor allem die Pfalz aus der Luft. Für seine Arbeit hat das Team „archaeoflug“ alle Bücher und Informationen, die sie über Luftbildarchäologie finden konnten, verschlungen und sogar den Flugschein für einen Ultraleichtflieger, ein sogenanntes Trike, gemacht. Dieser Flieger ist perfekt für die Erkundungstouren. „Er lässt sich leicht durch Gewichtsverlagerung steuern, wir können langsam und niedrig fliegen, beide während des Fluges fotografieren und so die Strukturen festhalten“, sagt Kiesow, der wie Voselek Berufsschullehrer ist. Zudem gewährt das wendige Fluggerät freie Sicht auf die Umgebung. Einziger Nachteil: Das Trike kann nur bei ruhiger Wetterlage geflogen werden.

Heute sichtbar, morgen versteckt

Von Anfang April bis Anfang August hat die Flugprospektion, wie die Luftbildarchäologie auch genannt wird, Hauptsaison. Meistens starten Kiesow und Voselek ein bis zwei Stunden, bevor der Flugplatz schließt. Dann steht die Sonne tief und die Bewuchsmerkmale zeigen sich deutlich. Wächst das Getreide beispielsweise über einer römischen Villa kürzer, wirft das längere Getreide Schatten und macht somit die Grundrisse sichtbar. In dem Fall sprechen die Archäologen von negativen Schattenmerkmalen. Positive Merkmale entstehen dann, wenn Grab- und Siedlungsgruben oder vorgeschichtliche Hausgrundrisse mit fruchtbarem Mutterboden aufgeschüttet wurden und so die Pflanzen an diesen Stellen besser und höher wachsen. Für beide Varianten gilt: Strukturen, die an einem Tag hervortreten, können am nächsten Tag schon wieder verschwunden sein. „Das Zeitfenster ist oft kurz, deshalb überfliegen, beobachten und fotografieren wir dieselben Fundstellen meistens über Jahre hinweg“, erklärt Kiesow. Am wenigsten ergiebig sind nasse, feuchte Sommer, wie im Jahr 2013. Aber auch im Herbst oder Winter, wenn gar nichts auf den Feldern wächst, lassen sich Hinweise finden. Dann nämlich, wenn der Landwirt pflügt und an bestimmten Stellen mehr Steine zum Vorschein kommen. Oder wenn sich eine dünne Schneedecke gebildet hat und der Schnee sich in den Vertiefungen von Gräben oder im Windschatten von Erhebungen durch Wälle länger hält.

Unterirdischer Palast

Die gesamte Pfalz, insbesondere die pfälzischen Getreidefelder, und kleinere Gebiete von Rheinhessen haben die beiden Luftbildarchäologen bereits ausgiebig erkundet und im Laufe der Jahre rund 700 neue Funde festgehalten. Außer Digitalkameras setzt Kiesow erfolgreich eine Wärmebildkamera ein. Mittlerweile hat er sich auch auf die geoelektrische Untersuchung am Boden spezialisiert. Bei diesem Verfahren erfasst Kiesow mithilfe einer Messvorrichtung die Unterschiede der elektrischen Leitfähigkeit des Untergrunds. Die so gewonnenen Werte ermöglichen Rückschlüsse auf die Form des Bodendenkmals. Der bisher beeindruckendste Fund: eine römische Palastvilla in Rheinhessen mit 100 Metern Frontlänge und mindestens 50 Räumen. „Luftbildaufnahmen von Villen finde ich besonders schön, weil vor meinen Augen automatisch ein Bild entsteht, wie sie einst ausgesehen haben könnten“, sagt Kiesow. Es geht jedoch nicht nur darum, Neues zu entdecken, sondern auch die Veränderungen an bekannten Bodendenkmälern, die beispielsweise der Einsatz von landwirtschaftlichen Geräten verursacht, festzuhalten.

Im Winter steht die Auswertung der gesammelten Daten an. Jetzt kommt auch der dritte Mann im Team „archaeoflug“ ins Spiel: Roland Seidel erstellt auf Basis der fotografierten Grundrisse detaillierte 3-D-Rekonstruktionen am Computer. So können auch Laien die Strukturen besser zuordnen und sich ein genaueres Bild von den Bodendenkmälern machen. Denn: Solange es keinen triftigen Grund für eine Ausgrabung gibt, wie eine unausweichliche Bauplanung oder eine wichtige wissenschaftliche Untersuchung, bleibt das Bodendenkmal geschützt unter der Erde.

  • Luftbild von Strukturen eines markanten Kreisgrabens sowie von kleineren Kreisgräben und Gruben. Bild: © archaeoflug.de
  • Thermografische Prospektion einer Villa Rustica. Bild: © archaeoflug.de
  • Strukturen eines Gräberfeldes. Bild: © archaeoflug.de
  • Kreisgraben und Gräben. Bild: © archaeoflug.de
  • Römische Siedlungsstelle mit sich kreuzenden Altstraßen. Bild: © archaeoflug.de
  • Prospektionsarbeit der Luftbildarchäologen von einer römischen Siedlungsstelle: Die sichtbaren Strukturen der Umfassungsmauer lassen auf eine 133 Meter lange und 115 Meter breite Hofanlage schließen. Neben dem gut sichtbaren Herrenhaus links sind noch Strukturen von Nebengebäuden erkennbar. Bild: © archaeoflug.de
  • Prospektionsarbeit der Luftbildarchäologen von einer römischen Siedlungsstelle: Die Vorderfront des Herrenhauses misst rund 42 Meter, die Seitenlänge beträgt 20 Meter. An die Rückseite schließt sich ein 32 Meter langer und 26 Meter breiter Hof an. Bild: © archaeoflug.de
  • Prospektionsarbeit der Luftbildarchäologen von einer römischen Siedlungsstelle: So sieht die geoelektrische Untersuchung des Haupthauses aus. Bild: © archaeoflug.de
  • Prospektionsarbeit der Luftbildarchäologen von einer römischen Siedlungsstelle: Nachgezeichnete Strukturen der römischen Siedlungsstelle. Bild: © archaeoflug.de
  • Prospektionsarbeit der Luftbildarchäologen von einer römischen Siedlungsstelle: 3-D-Rekonstruktionsversuch der römischen Siedlungsstelle. Bild: © archaeoflug.de

Annette Frank

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