Zukunft & Innovation

Corporate Learning 4.0: überall und jederzeit

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Im Zeitalter der Digitalisierung wird berufliche Weiterbildung von der Kür zur Pflicht. Zugleich können digitale Technologien das lebenslange Lernen erleichtern und klassische Lehr- und Lernmethoden wirkungsvoll ergänzen.

Lernen auf Vorrat aus dicken Handbüchern ist für die Servicetechniker des Maschinenbauers Werner & Pfleiderer Lebensmitteltechnik nicht mehr angesagt. Fehlendes Know-how können sie sich bei Bedarf direkt im Einsatz beim Kunden aneignen. Das Stuttgarter Unternehmen ist auf handwerkliche und industrielle Backtechnik spezialisiert, zur Produktpalette gehören beispielsweise Öfen, Teigmaschinen oder Brötchenbackanlagen. Die unterschiedlichen Maschinen müssen programmiert, gereinigt und gewartet werden. Viele Aufgaben übernehmen vom Hersteller geschulte Mitarbeiter der jeweiligen Bäckereibetriebe selbst, für andere Fälle, etwa Störungen, fordern die Kunden einen Techniker aus Stuttgart an.

„Hallo, Herr Jung, hier ist Maschine 12.34“

Seit Kurzem unterstützt ein innovatives E-Learning-Tool die unterschiedlichen Zielgruppen dabei, ihr Wissen passgenau für die jeweilige Aufgabe auf den erforderlichen Stand zu bringen. Über mobile Endgeräte wie Tablet oder Smartphone stellt ihnen die Plattform die relevanten Lerninhalte zum richtigen Zeitpunkt bereit. Das System berücksichtigt dabei nicht nur ihre Rolle (externer Anwender oder interner Servicemitarbeiter) und ihren aktuellen Lernstand, sondern auch ihren Standort: Kleine Bluetooth-Sender (Beacons) an den Maschinen erkennen, wenn sich ein Nutzer in der Nähe befindet, und bieten ihm eine individuelle Zusammenstellung der zur Maschine gehörenden Lernmedien an. „Die Mitarbeiter lernen situativ am Arbeitsplatz und erhalten just in time und on the job genau die Inhalte, die sie gerade zur Bewältigung ihrer Aufgabe benötigen“, erklärt Dr. Patrick Blum, Geschäftsführer der inside-Unternehmensgruppe. Der Aachener E-Learning-Dienstleister betreut Kunden aus allen Branchen, darunter auch Werner & Pfleiderer. „Es gibt eigentlich keine Branche, für die E-Learning nicht geeignet ist“, sagt Blum.

E-Learning für mehr Motivation

Tatsächlich nutzt laut einer aktuellen Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom knapp die Hälfte aller Unternehmen E-Learning bereits in der Aus- und Weiterbildung oder plant dieses konkret. Als Hauptvorteile werden zeitliche und örtliche Flexibilität genannt, aber auch die Möglichkeit, individuelle Kursinhalte in standardisierter Qualität anzubieten, und das Motivationspotenzial: Mehr als jedes zweite Unternehmen, das bereits digitale Lernangebote nutzt oder konkret einführen will, ist laut Bitkom-Report der Ansicht, dass E-Learning das selbst organisierte und lebenslange Lernen im Betrieb fördert. Denn das wird durch den digitalen Wandel zunehmend zur Notwendigkeit: „Je digitaler die Arbeitswelt ist, desto mehr gibt es bei der Arbeit auch zu lernen“, sagt Prof. Dr. Peter Dehnbostel. An der TU Dortmund forscht und lehrt er zu den Schwerpunkten Berufliche Weiterbildung und Betriebliches Bildungsmanagement. Unternehmen müssten eine gelebte Weiterbildungskultur schaffen, in der das Lernen am Arbeitsplatz zur Normalität wird, betont er.

Mobile Lernplattformen bieten jedem Anwender das individuell benötigte Wissen in leicht konsumierbaren, bedarfsgerechten Häppchen.

Bring your own device

Mit seiner mobilen Lernplattform, die jedem Anwender das individuell benötigte Wissen in leicht konsumierbaren, bedarfsgerechten Häppchen bietet, ist das 140 Jahre alte Traditionsunternehmen Werner & Pfleiderer in dieser Hinsicht bereits gut gerüstet. Auch die deutsche Gastronomiekette L’Osteria nutzt eine mobile App, um in ihren europäischen Restaurants eine einheitliche Trainings- und Servicequalität zu schaffen. Weil dort die wenigsten Mitarbeiter einen PC-Zugang haben, dürfen sie ihre privaten Mobilgeräte zum Lernen während der Arbeit nutzen (bring your own device). Die App bietet dabei unterschiedliche Zugänge, um benötigtes Wissen wie Informationen zu Produkten, Rezepturen oder verschiedenen Arbeitsbereichen zu erlangen: Zum einen können die Mitarbeiter über Funktionen wie Volltextsuche, Favoriten oder Verlauf gezielt nach Inhalten suchen. Zum anderen stellt das Unternehmen kleine interaktive Lerneinheiten und Onlinetests bereit. Für jede erfolgreich abgeschlossene Station gibt es eine virtuelle Trophäe. Führungskräfte können sich jederzeit einen aktuellen Überblick über den Qualifizierungsstand ihrer Mitarbeiter verschaffen. Bei den Mitarbeitern komme die Lern-App gut an, sagt Michael Frötschl, bei L’Osteria in München für die Personalentwicklung verantwortlich. Auch das Unternehmen ist zufrieden: Der Trainingsaufwand und die Time-to-Competence sänken, durch effizientes Onboarding und kontinuierliche, transparente Qualifizierung werde die Expansionsstrategie zudem optimal unterstützt, so Frötschl.

Lernen bleibt sozial

Nach Einschätzung Personalverantwortlicher werden digitale Lernangebote in der betrieblichen Weiterbildung in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen (vgl. dazu die Ergebnisse des HR-Reports 2020). Doch trotz der neuen digitalen Freiheit, sich individuell und selbstgesteuert weiterzubilden, wann und wo man will, wird das Lernen nicht zur einsamen Angelegenheit. Ganz im Gegenteil: „Lernprozesse sind soziale Prozesse“, sagt Dr. Daniel Schütt, Mitgründer und Vorstand von Masterplan.com. Das Bochumer Start-up hat einen Videogrundkurs für digitale Kompetenzen entwickelt, der unter anderem bei Siemens, der Deutschen Bahn oder der Otto Group im Einsatz ist. Natürlich könne man sich die Lerneinheiten alleine und sogar offline in der Bahn oder im Flieger anschauen, tatsächlich würden sich die Mitarbeiter aber meist in physischen oder virtuellen Lerngruppen organisieren und anhand der Kursinhalte gemeinsam konkrete Ziele und Schritte für ihr Team erarbeiten, hat Schütt festgestellt. Auch der Anbieter von digitalen Management-Planspielen BuGaSi setzt bewusst auf Blended Learning, also einen Mix aus klassischem Präsenzseminar und digitaler Simulation. Bei Fort Fantastic treten die Schulungsteilnehmer persönlich in kleinen Teams gegeneinander an, um die Performance eines fiktiven Freizeitparks zu verbessern. „Es handelt sich um ein hybrides Tool, das darauf ausgelegt ist, dass Menschen vis-à-vis miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten, um wichtige Soft Skills wie Teambuilding, Führung oder soziale Kompetenz zu trainieren“, sagt Marc Weißel, der die Seminare als Spielleiter und Trainer begleitet.

Trotz der neuen digitalen Freiheit, sich individuell weiterzubilden, wird das Lernen nicht zur einsamen Angelegenheit. Foto: Adobe Stock

Last, but not least erleichtert die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung den unternehmensweiten direkten Austausch von Wissen. Dieser wichtige Trend wird als Social Learning bezeichnet. Ist im Unternehmen transparent, wer was weiß, können Mitarbeiter anhand von Expertise, Interessen oder beruflichen Bedürfnissen eigenständig entscheiden, zu welchen Themen sie sich mit wem austauschen möchten, und zwar unabhängig von Abteilungsgrenzen oder Hierarchieebenen. Neue Methoden wie Learning out loud fördern dieses vernetzte Lernen im Unternehmen. Dabei treffen sich Gleichgesinnte über einen längeren Zeitraum, definieren Lernbedarfe und produzieren passend dazu selbst kleine Lerneinheiten für die beteiligten Kollegen. Jeder ist also Lerner und Lehrender zugleich, was für eine hohe Relevanz und Akzeptanz der Lerninhalte sorgt. „Die Zukunft des Lernens wird vielseitiger sein als heute. Die eine ultimative Lernmethode gibt es nicht“, sagt Digitalisierungsexperte Schütt: „Fest steht jedoch, dass jedes Unternehmen zur Bildungseinrichtung werden muss.“

Fünf Fragen an …

… Prof. Dr. Peter Dehnbostel, der an der TU Dortmund zu den Themen Betriebliche Bildungsarbeit und Berufliche Weiterbildung lehrt und forscht.

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt – verändert sie auch das Corporate Learning?
Ja, im Grunde genommen hat sie – einhergehend mit restrukturierten Organisationen – das Konzept des lernenden Unternehmens überhaupt erst hervorgebracht. Bis in die 70er-Jahre herrschten industrialisierte, tayloristische Arbeitsprozesse vor, für den Großteil der Beschäftigten gab es weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit zum Lernen. Seit den 80er-Jahren nimmt die Digitalisierung der Arbeit stetig zu – vom PC über die Anfänge des Internets bis zu den aktuellen Schlüsseltechnologien der Robotik, der Cyber-Physischen-Systeme und der künstlichen Intelligenz. Das verändert die Arbeits- und Lernformen: je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto mehr gibt es (in den Unternehmen) zu lernen.

Wie sieht betriebliches Lernen denn heute aus?
Das digitale Lernen verbindet Arbeiten und Lernen unmittelbar im Arbeitsprozess. Beschäftigte nutzen dabei in wachsendem Maße digitale Lernplattformen, Online-Communities, Webinare sowie Blended Learning, also Formate, die Präsenzveranstaltungen und virtuelles Lernen miteinander verbinden. Digitales Lernen in der Arbeitswelt ist dabei größtenteils informelles Lernen und darauf ausgerichtet, zunehmend anspruchsvolle Arbeitsaufgaben zu lösen, wobei einfache Arbeit – soweit ökonomisch sinnvoll – immer mehr substituiert wird.

Haben klassische Formate wie Seminare, Abendkurse oder Coaching bald ausgedient?
Nein, ganz im Gegenteil: Informelles, arbeitsintegriertes Lernen erfolgt in der Regel situativ, ohne professionelle Lernbegleitung. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter aber breit qualifizieren. Eine umfassende Kompetenzentwicklung ist nur durch die Verbindung von informellem Lernen mit intentionalem, organisiertem Lernen innerhalb und außerhalb des Unternehmens einzulösen.

Prof. Dr. Peter Dehnbostel lehrt und forscht an der TU Dortmund mit den Schwerpunkten „Betriebliche Bildungsarbeit“ und „Berufliche Weiterbildung“. Foto: Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Ihre Empfehlung?
Unternehmen sollten E-Learning verstärken und dabei außerbetriebliche Lern- und Wissensinhalte einbeziehen. Um innovativ zu bleiben, brauchen Sie Lernformate, die Reflexion und Distanz vom Alltag schaffen und eine Brücke zum wissenschaftlichen Wissen schlagen. Unternehmen, die nur auf internes Know-how setzen und sich nicht strategisch positionieren, landen früher oder später in der Sackgasse.

Sie forschen seit vielen Jahren zur beruflichen Weiterbildung. Wo sehen Sie beim Corporate Learning 4.0 Handlungsbedarf?
Der Stellenwert des informellen, selbstorganisierten Lernens ist hoch und wird weiter zunehmen. Ich wünsche mir für Unternehmen und Arbeitnehmer einen verbindlichen Rahmen, um beruflich erworbene Kompetenzen, gerade informell erworbene, zu validieren und anzuerkennen. Was sagt denn Ihr Studien- oder Berufsabschluss nach zehn oder 20 Jahren im Berufsleben noch darüber aus, was Sie wirklich können? Für Unternehmen und Beschäftigte ist es unerlässlich, den jeweiligen Entwicklungsstand professionell zu bewerten, um Weiterbildungsziele zu formulieren oder Personal- und Karriereentscheidungen zu treffen. Da brauchen wir verbindliche, bundesweit geltende Rahmenbedingungen, ähnlich wie sie für die Berufsbildung gelten.

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Kirstin von Elm

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