Zukunft & Innovation

Da geht noch was – Städte im Umbruch

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Städte gelten als der Lebensraum von morgen. Doch um zukunftsfähig zu werden und attraktiv zu bleiben, müssen die Metropolen an sich arbeiten. Gute Ideen sind gefragt, um Herausforderungen wie Luftverschmutzung und Verkehrskollaps, Überhitzung und sozialer Vereinsamung wirkungsvoll zu begegnen. Zum Glück gibt es weltweit schon viele inspirierende Beispiele, die zeigen, wie der Umbruch gelingen kann.

Stadt? Land? Stadt! Immer mehr Menschen zieht es in die Metropolen: Zwei Drittel der Weltbevölkerung werden im Jahr 2050 nach Schätzungen der Vereinten Nationen in Städten leben. In Deutschland sind es schon jetzt über 75 Prozent. Die Urbanisierung ist einer der Megatrends unserer Zeit. Der Run auf die Städte stellt besonders die explosionsartig wachsenden Megacitys in Afrika, Asien und Südamerika vor schier unlösbare infrastrukturelle und soziale Herausforderungen. Doch auch viele Metropolen in den westlichen Industrienationen haben die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Wollen die Städte ihre Attraktivität erhalten, scheint ein Weiter-wie-bisher keine Option. Um lebenswert zu bleiben, werden die Städte sich wandeln müssen. Ob diese Transformation erfolgreich sein wird, hängt laut Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), stark davon ab, ob die kommunal Verantwortlichen es schaffen, alte Strukturen zu überwinden und eine inte­grierte und nachhaltige Stadtentwicklung durchzusetzen.

Wem gehört die Stadt?

Vor allem ein Übeltäter steht zunehmend im Kreuzfeuer der Kritik, weil er das Leben in den Städten mehr belastet als erleichtert: das Auto. „Der Weg führt weg von der indi­viduellen Pkw-Nutzung“, ist Difu-Leiter Kühl überzeugt. Dabei seien alle gefordert: Politik und Verwaltung ebenso wie Verkehrsunternehmen und last, but not least die Menschen, die ihre Mobilitätsgewohnheiten ändern müssten. Noch allerdings ist der Privat-Pkw omnipräsent. Kein Wunder: Jahrzehntelang galt in der Stadtplanung das Primat der autogerechten Stadt. Die Folgen dieser „Autos first“-Strategie sind heute überall sicht- und spürbar. Es kommt zunehmend zu Nutzungskonflikten, denn durch den unverminderten Zuzug wird es immer enger in der City. Zwar wiesen laut Difu die Städte in den 1920er- und 1930er-Jahren eine noch deutlich höhere Bevölkerungsdichte auf. Doch heute beanspruchen parkende und fahrende Autos den größten Teil des öffentlichen Raums für sich.

Autos raus statt „Autos first“

Immer dringlicher stellt sich die Frage: „Wem gehört eigentlich die Stadt?“ Schon vor 20 Jahren hat das nordspanische Pontevedra darauf eine ebenso eindeutige wie radikale Antwort gegeben: „Den Fußgängerinnen und Fußgängern!“ Unter dem Motto „Pontevedra sin coches“, also „Pontevedra ohne Autos“, hat die Kleinstadt den Autoverkehr fast komplett aus der Innenstadt verbannt – und fährt gut mit diesem Konzept. Der CO2-Ausstoß ist um 70 Prozent gesunken, zwischen 2006 und 2016 starb niemand aufgrund von Verkehrsunfällen, Kinder bewegen sich selbstständig in der Stadt – adios, Helikoptereltern! Immer mehr Städte erkennen die Vorrangstellung des Privat-Pkw als Problem und steuern um. „Walkability“ ist angesagt, also Fußgängerfreundlichkeit. Damit Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr für jede Kleinigkeit ins Auto steigen müssen, setzen Kommunen wie zum Beispiel Portland im US-Staat Oregon auf sogenannte 20-Minute-Villages: dorfähnlich strukturierte Stadtviertel, in denen von der Kita über Frisiersalons bis hin zum Lebensmittel­handel alles innerhalb von 20 Minuten zu Fuß erreichbar ist. In Europa richten sich die Blicke auf Fahrradstädte wie Kopenhagen oder Amsterdam, die vielen Kommunen in Sachen Verkehrsplanung als neue Vorbilder dienen.

Paris entdeckt die Liebe zum Fahrrad

Besonders ehrgeizige Pläne in Sachen Zukunftsstadt verfolgt die 2020 wiedergewählte Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Sie will die französische Hauptstadt zu einer „Stadt der Viertelstunde“ machen und zur Weltstadt des Fahrrads. Grüner und lebenswerter soll die verkehrsgeplagte „capitale“ unter ihr werden. Ein Prestigeprojekt der Sozialistin ist die Schnellstraße Voie Georges Pompidou im Stadtzentrum unweit des Louvre. Hier fuhren bis 2016 rund 43.000 Autos pro Tag, heute ist die Straße an der Seine für den Autoverkehr gesperrt und zur beliebten Flaniermeile mit Bars, kleinen Läden und Sportgeräten geworden. Im nächsten Schritt will sich Hidalgo den Boulevard périphérique, die Ringautobahn um Paris, vornehmen. Auf der sechsspurigen Straße sollen künftig neue Regeln für die Nutzung gelten – zum Vorteil von Radfahrenden, Fußgänge­rinnen und Fußgängern und Carsharing-Gemeinschaften.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will die französische Hauptstadt zur Weltstadt des Fahrrads machen. Foto: Adobe Stock

Weiß + Grün + Blau = kühl

Neben der Verkehrsbelastung entwickelt sich auch die Klimakrise zu einer immer größeren Herausforderung, der sich die Städte stellen müssen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. Immer häufigere und extremere Hitzewellen sorgen dafür, dass Innenstädte in den Sommermonaten auch nachts nicht mehr abkühlen – mit teils dramatischen Folgen besonders für Ältere und Kranke. Die Formel mehr Grün, mehr Weiß, mehr Blau kann Städten helfen, der Überhitzung entgegenzuwirken. Beispiele finden sich rund um den Globus.

So werden im Rahmen der Initiative „Cool Roofs“ (kühle Dächer) in New York Hausdächer weiß getüncht, damit sie sich nicht so stark aufheizen. In einem Test ließ die Stadt Los Angeles die Fahrbahnen über mehrere Straßenzüge hinweg weiß einfärben. In Würzburg sollen weiße Bahnschienen verhindern, dass sich das Metall verformt – wie zuletzt im Hitzesommer 2018.

Geht es um urbane Begrünungskonzepte, tut sich Singapur mit einem besonders ambitionierten Programm hervor. Der südostasiatische Stadtstaat will zu einer „Stadt im Garten“ werden. Niemand soll von zu Hause aus mehr als zehn Minuten Fußweg bis zum nächsten Park zurücklegen müssen. Schon jetzt gibt es im Stadtgebiet über 120 Hektar Grünanlagen – weltbekannt sind beispielsweise die Gardens by the Bay mit ihren „Super Trees“. Ziel ist es, die Grün­flächen auf 200 Hektar zu erweitern. Das ist auch insofern ehrgeizig, als die Stadt flächenmäßig nur etwa die Größe von Hamburg hat, jedoch dreimal so viele Einwohnerinnen und Einwohner.

Ambitioniertes Begrünungskonzept: 120 Hektar Grünanlagen gibt es schon in Singapur, darunter die weltbekannten Gardens by the Bay mit den „Super Trees“. Foto: Nick Fewings/unsplash

Grünräume als Erfolgsfaktor

Für Luise Willen und Jens Hasse aus dem Forschungs­bereich Umwelt des Difu ist lebendiges Stadtgrün in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht ein Erfolgsfaktor: „Grün ist das stärkste Instrument in der Stadtklimatologie, zudem Schadstoff- und Lärmfilter, Freizeit- und Erholungsraum für Menschen, Lebensraum für Pflanzen und Tiere“, so die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler. Gerade dort, wo eine Stadt wächst oder sich verdichtet, sollten ihnen zufolge urbane Grünräume gesichert und erweitert werden.

Das kann in Form von Fassaden- oder Dachbegrünungen geschehen, die in vielen Städten lange verpönt waren und nun gefördert werden. An Stellen, wo es undenkbar schien, entstehen in zahlreichen Innenstädten plötzlich Gärten und Beete. Und wieder ist es die Pariser Bürgermeisterin Hidalgo, die gleich das ganz große Rad dreht: An vier symbolträchtigen Orten in ihrer Stadt – hinter der alten Opéra Garnier, vor dem Rathaus, am Gare de Lyon und auf der Voie Georges Pompidou – lässt sie Bäume pflanzen mit dem Ziel, dort Stadtwälder entstehen zu lassen.

Auf Blau und Grün zugleich setzt die österreichische Hauptstadt mit ihrem Programm „Cooles Wien“. Um Hitzeinseln im Hochsommer zu verhindern, greifen die Stadtverantwortlichen zu erfrischenden Maßnahmen: Unter anderem wurden Gratis-Badestrände eingerichtet und an verschiedenen Orten im Stadtgebiet mit Düsen versehene Wasserschläuche ausgelegt. Als Nebelduschen versprühen sie Wasser in feinen Tröpfchen und senken so die Umgebungstemperatur um bis zu elf Grad. Im neuen Stadtteil Seestadt setzt Wien außerdem das Prinzip der Schwammstadt um: Statt anfallendes Regenwasser nur zu kanalisieren und abzuleiten, wird es lokal aufgenommen und gespeichert. Die Böden in der Schwammstadt sind weniger verdichtet als sonst in Städten üblich. Unterhalb der befestigten Oberflächen im Straßenraum wird eine Schicht aus grobkörnigem Schotter sowie feineren, wasserspeichernden Materialien angelegt. Bäume können dort besser wurzeln und entsprechend größere Kronen ausbilden, die mehr Schatten spenden. Dadurch kann mehr Wasser verdunsten – und so für Kühlung sorgen.

Vielfach ausgezeichnet: Das Luxushotel Parkroyal Collection Pickering in Singapur punktet mit 15.000 Quadratmetern Terrassengärten. Foto: Adobe Stock

Grüner wohnen

Architektur kann schön sein oder hässlich oder auch einfach nur zweckdienlich. Und (gute) Architektur kann noch viel mehr: Sie kann helfen Probleme zu lösen, soziale ebenso wie ökologische. Für die Städte von morgen ist Architektur deshalb eine wichtige Disziplin, wenn es darum geht, sich zukunftsfähig aufzustellen. Wir haben ein paar außergewöhnliche Gebäude zusammengestellt, die heute schon einen Vorgeschmack darauf geben, was morgen vielleicht zum Standard werden könnte.

Aus Schutt wird schön: Future House Ulvenhout

Ein Haus aus Bauschutt? Ja, richtig gelesen: Für die Klinkerfassade des Future House im niederländischen Ulvenhout wurden über zehn Tonnen Bauabfälle wiederverwertet. Das niederländische Unternehmen StoneCycling bietet damit einen Lösungsansatz für ein weltweit immer drängenderes Problem: Sandknappheit. Vor allem für die Herstellung von Beton, also zum Bauen, wird viel mehr Sand abgebaut als auf natürlichem Weg wieder entstehen kann. Statt auf „neuen“ Sand setzen die Niederländer deshalb auf das Prinzip des Urban Mining, bei dem Städte als Rohstofflager genutzt werden und Bauschutt nicht auf der Deponie landet, sondern aufbereitet und wiederverwertet wird – zum Beispiel für schicke Klinkerfassaden. 

Foto: unsplash central library Oodi

Helsinkis kollektives Wohnzimmer: Zentralbibliothek Oodi

Ein architektonischer Hingucker und ein zugleich ganz besonderer Ort sozialen Miteinanders ist die Zentralbibliothek Oodi in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Konzipiert vom finnischen Architekturbüro ALA Architects öffnete das imposante Gebäude aus Fichtenholz, Stahl und Glas im Dezember 2018 seine Pforten. Natürlich kann man hier Bücher lesen und ausleihen – aber nicht nur das. Auf rund 17.000 Quadratmetern stehen den Nutzerinnen und Nutzern der Bibliothek außerdem 3-D-Drucker und Nähmaschinen zur Verfügung, es gibt Musikstudios, Kinos, Bastel- und Elektroniklabore, Konferenzräume und Co-Working-Bereiche. Auf einer Tafel im ersten Stock steht: „Jeder hat das Recht, in der Bibliothek zu sein. Herumhängen ist erlaubt, ja sogar erwünscht. Rassismus und Diskriminierung haben in dieser Bibliothek keinen Platz. Oodi ist unser gemeinsames Wohnzimmer.“

  • Foto: unsplash central library Oodi
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Alter Baustoff für neue Büros: Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt

Beim Neubau ihres Verwaltungssitzes hat die Bio-Supermarktkette Alnatura auf ein sehr altes Baumaterial gesetzt: Die Außenwände der 2019 bezogenen „Arbeitswelt“ in Darmstadt bestehen aus einer Stampflehmfassade. Der natürliche Baustoff gilt als besonders nachhaltig, da er langlebig ist, Wärme speichern kann und umweltfreundlich herzustellen und zu entsorgen ist. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat das Bürogebäude mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2020 ausgezeichnet. In der Begründung heißt es, die „Arbeitswelt“ sei „ein echtes Vorbild für eine hochwertige, klimagerechte Architektur“.

Foto: Marc Doradzillo

Klimaanlage für die Innenstadt: Grüne Fassade des Kö-Bogen II

Europas größte grüne Fassade wächst – und gedeiht hoffentlich – in Düsseldorf: Über 30.000 Hainbuchen zieren seit Frühjahr 2020 die Außenwände des „Kö-Bogen II“ genannten Büro- und Geschäftskomplexes im Zentrum der Landeshauptstadt von NRW. Die Begrünung soll als natürliche Klimaanlage für die Innenstadt fungieren: Die Bäume verhindern, dass sich das Gebäude durch Sonneneinstrahlung zu stark aufheizt und die Hitze an die Umgebungsluft abgibt. Gleichzeitig verdunsten die Blätter Feuchtigkeit und sorgen so zusätzlich für Kühlung. Hinzu kommt das Potenzial der Pflanzen, CO2 aufzunehmen und Sauerstoff wieder abzugeben. Nach Angaben des verantwortlichen Architekturbüros ingenhoven architects entspricht der ökologische Nutzen der Hainbuchenfassade dem von 80 ausgewachsenen Laubbäumen.

Foto: H.G. Esch

Großstadtdschungel: Singapur setzt auf grüne Architektur

Singapur gilt nicht nur als besonders teuer und besonders sauber, sondern auch als grünste Stadt Asiens. Eine „Stadt im Garten“ will die Metropole sein und verfolgt dafür ein ehrgeiziges Begrünungskonzept, das mithilfe von strikten Regelungen umsetzt wird. Eine Vorgabe lautet, dass Architekten in dem Stadtstaat jeweils so viel Fläche begrünen müssen, wie sie bebauen. Bei Neubauten zählen Grünräume nicht zur Gesamtgeschossfläche – sprich: je grüner desto großzügiger kann gebaut werden. Das Ergebnis sind zahlreiche üppig bewachsene (Luxus-)Gebäude im Stadtbild. Auf diese Weise soll die Stadtluft gereinigt, das Klima verbessert werden – und die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner steigen.

Foto: Unsplash / Nazarizal Mohammad

Nicole Pollakowsky

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