„Ich trau mich, ich trau mich nicht ... ich trau mich!“

Was sie von ihrer Arbeit erwartet? Davon hat Jasmin Hunn eine ganz genaue Vorstellung. „Ich möchte Einblick in neue Themen bekommen und mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen arbeiten“, sagt die 37-Jährige und sie ist überzeugt: „Diesen Luxus bietet die Festanstellung nicht.“ Ihre Erfahrung nach zwölf Berufsjahren als Angestellte: Je größer der Konzern, desto geringer die Möglichkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen. Anfang des Jahres hat die Wirtschaftsfachwirtin deshalb all ihren Mut zusammengenommen und sich als Beraterin im Rechnungswesen selbstständig gemacht – und das obwohl ihr gleich mehrere lukrative Angebote für Festanstellungen vorlagen. Ihr Angebot reicht vom „daily business“ in der Finanzbuchhaltung bis hin zu strategischen Tätigkeiten in der Prozessanalyse und -optimierung. Ihre Aufträge bezieht Jasmin Hunn meist über Hays, zusätzlich ist eine Kooperation mit Steuerberatern geplant. Bereits jetzt ist die Freiberuflerin sicher, das Richtige getan zu haben – nicht nur in finanzieller Hinsicht. „Ich habe mir die Frage gestellt, was ich im Alter bereuen würde, nicht getan zu haben. Und die Antwort war: mich selbstständig zu machen. Wenn man weiß, was man kann, sollte man den eigenen Fähigkeiten vertrauen und den Sprung wagen“, findet sie.
Wichtig ist es, Risiken klug einzuschätzen
Mit dieser Einstellung gehört die Münchenerin zu einer offenbar immer rarer werdenden Spezies: Die Anzahl der Existenzgründungen in Deutschland sinkt von Jahr zu Jahr. Nur noch gut 670.000 Neugründer zählt der KfW-Gründungsmonitor für das Jahr 2016 – ein neuer Tiefstand. Fachleute betrachten diese Entwicklung mit Sorge. „Fehlen heute die Gründer, leidet morgen die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft“, so die Befürchtung der Autoren der KfW-Studie. „Der Unternehmermuskel ist in unserer Kultur der abhängigen Beschäftigung nicht besonders stark ausgebildet“, bedauert auch die Unternehmerin und Autorin Catharina Bruns. Dabei sei Gründen heute – auch dank des Internets – ganz anders möglich als noch eine Generation zurück. Bruns selbst hat schon mehrere kreative Unternehmen gegründet. Ihre Erfahrung: „Unternehmerischer Erfolg hängt heute nicht mehr von viel Kapital oder eigenen Produktionsmitteln wie zum Beispiel Maschinen ab, sondern von kreativen Geschäftskonzepten, die verfügbare Strukturen intelligent ausnutzen, Vorhandenes neu kombinieren und der Gesellschaft ein besseres Angebot machen.“ Mut ist in ihren Augen hilfreich, aber nicht essenziell für eine erfolgreiche Gründung. Es gehe vielmehr darum, Risiken klug einzuschätzen.
Genau diese erschienen Alexandre Melo ursprünglich viel zu hoch. „Mein Vater ist Unternehmer“, erzählt der Ingenieur mit brasilianischen Wurzeln. „Bei ihm habe ich gesehen, was selbstständig sein bedeutet. Und ich war mir sicher: Das ist nichts für mich.“ Doch es kam anders. Je größer die Projekte wurden, die seine Firma ihm anvertraute, desto klarer wurde dem studierten Verfahrenstechniker, dass ihm die Büroarbeit zu trocken war. „Ich wollte wieder näher dran sein, den Kundenkontakt haben“, so Melo. 2014 gründete er sein eigenes Ingenieurbüro, die Saubertag Engineering GmbH mit Sitz in München. Der Anfang sei hart gewesen, so der Unternehmer, doch inzwischen befindet sich seine Firma in der Expansionsphase, und Alexandre Melo sagt: „Ich bereue meine Entscheidung auf keinen Fall.“ In mehr als 20 Werken von Bulgarien bis Mexiko hatte er in den vergangenen drei Jahren zu tun. „Als Festangestellter war das nicht möglich.“ Bei der Akquise hilft Melo sein brasilianischer Hintergrund. Sein USP: Die Mentalität Südamerikas ist ihm vertraut, bei Projekten dort ein unschätzbarer Vorteil. Vor allem in der Startphase seien außerdem die Referenzen seiner bisherigen Arbeitgeber und nicht zuletzt die guten Verbindungen zu Hays sehr wertvoll gewesen. „Ingenieure sind sehr konservativ. Als junger Selbstständiger an Aufträge zu kommen, ist da nicht einfach“, so Melo. Umso bedeutender seien starke Partner und der Nachweis, dass man bereits Erfahrung mit und in Großkonzernen gesammelt habe.
Tragfähige Netzwerke sind ein wichtiger Baustein für die Freiberuflichkeit
„Der Aufbau eines wirklich tragfähigen Netzwerks ist ein wichtiger Baustein für die Freiberuflichkeit“, bestätigt Frank Schabel, Head of Marketing/Corporate Communications bei Hays in der D-A-CH-Region. „Mut allein, auch wenn er noch so positiv ist, reicht nicht aus.“ Natürlich bedürfe es zudem der fachlichen Kompetenz und des Wissens um die eigene Expertise, die einen von der Konkurrenz positiv abhebt. Die Selbstständigkeit, so Schabels Rat, sollte daher gut vorbereitet sein.
Damit bei dieser Vorbereitung niemand auf sich allein gestellt bleibt, ist in den vergangenen Jahren ein breites Unterstützungsangebot zur Gründerförderung entstanden. Neben Gründerzentren in vielen Städten gibt es Angebote der Branchenverbände und der IHK. Umfangreiche Hilfestellung bietet auch das Internet. Unter existenzgruender.de betreibt etwa das Bundeswirtschaftsministerium eine eigene Gründer-Website. Tipps rund um den Start in die Selbstständigkeit gibt auch das Online-Portal Für-Gründer.de. Die Macher des Angebots haben zudem ein Netzwerk von Beratern aufgebaut, von denen Jungunternehmer sich Unterstützung holen können. „Viele Gründer unterschätzen, was alles auf sie zukommt – das reicht von der Kundenakquise bis zu Steuerfragen und ein Büro muss auch noch gefunden werden“, sagt René Klein, Gründer und Geschäftsführer von Für-Gründer.de. „Wer in dieser Situation weiß, dass er Beratung braucht, ist schon einen Schritt weiter.“ Gute Planung, weiß er, könne viele Stolpersteine aus dem Weg räumen. Doch auch ein Stolpern ist für Klein kein Weltuntergang. „Fehler machen gehört auch dazu. Ein guter Plan ist dann wie ein Kompass, der anzeigt, wenn man zu weit abweicht“, macht der Gründungsexperte Mut zum Ausprobieren.
Drei Fragen an Andreas Herzog: „Für gute Pommes braucht es kein BWL-Studium“

Andreas Herzog ist freiberuflich als Interimsmanager sowie als Unternehmensberater für Existenzgründung tätig. In den vergangenen zehn Jahren hat er 120 Gründungen begleitet. Angehende Unternehmer warnt er vor Selbermacheritis und vor einem zu großen Bauchladen.