Arbeitswelt & Karriere

„Wie kommst Du denn auf den“

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Der Prozess zur Personalauswahl folgt meist festen Regeln. Menschen mit passenden Lebensläufen werden in standardisierte Vorstellungsgespräche geschickt, in denen Personaler sie schließlich entlang bewährter Kriterien beurteilen. Drei Unternehmen haben sich aus dieser Konformität gelöst und „Wildcards“ vergeben – mit Erfolg.

Schon zu Beginn ihrer beruflichen Karriere wollte sich Felicitas von Kyaw nicht in eine Schublade stecken lassen. Die studierte Volkswirtin wurde in Gesprächen mit Personalern immer wieder gefragt, warum sie nicht Betriebswirtschaft studiert habe, wenn sie doch in die Industrie wolle. Um eine Antwort war von Kyaw nicht verlegen: Es gehe um wirtschaftliche Zusammenhänge, das würde man in beiden Disziplinen lernen, nur mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Heute verantwortet von Kyaw als Vice President Human Resources die People-Themen für den Geschäftsbereich Customer & Solutions beim Energiekonzern Vattenfall. Dabei entsprach auch diese Rolle nicht originär ihrer Expertise, als sie zum Unternehmen kam. Vielmehr kannte sie sich mit Change und Transformation Management aus, da sie vorher die Change Practice bei Capgemini Consulting geleitet hatte. Bei der aktuellen Position geht es aber hauptsächlich um operative HR, und das in unmittelbarer Nähe zum Business. „Da stellte sich mein Arbeitgeber vielleicht die Frage: Kann sie denn auch das operative Geschäft? Oder ist sie aufgrund ihres Consultinghintergrundes nicht doch stärker in strategischen und konzeptionellen Fragen?“, erinnert sich von Kyaw. Immerhin übertrug man ihr ja in dieser Funktion die Verantwortung für 3.000 Mitarbeiter im europäischen Raum. Dennoch ging das Unternehmen das Risiko ein. Denn es vertraute darauf, dass ihr genau dieses strategisch-konzeptionelle Denken helfen würde, sich schnell in neue Situationen einzuarbeiten und die Zusammenarbeit mit dem Business erfolgreich zu steuern. Außerdem setzte Vattenfall auf ihre umfassende Change-Expertise – schließlich sollte sie in ihrer neuen Position die Mitarbeiter auf dem Weg in Richtung neue Vision mitnehmen. Von Kyaw enttäuschte ihren neuen Arbeitgeber nicht, sondern übertrug ihre Fähigkeiten souverän in den neuen Arbeitskontext – in dem sie sich nun schon seit drei Jahren behauptet.

Ein neuer Mitarbeiter in den 60ern? – Eine Chance für alle Beteiligten!

Eine ähnlich couragierte Personalentscheidung traf auch Christa Stienen, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) und Personalverantwortliche für über 30.000 Angestellte eines global agierenden Catering-Unternehmens: „Im vergangenen Jahr habe ich einen über 60-jährigen Personaler eingestellt“, sagt Stienen. Eine Personalentscheidung, die gut begründet sein wollte. Denn neue Mitarbeiter einzustellen, die sich quasi schon im Ruhestand befinden könnten, ist nicht unumstritten. „Ich wurde gefragt, wie kommst Du ausgerechnet auf den?“, berichtet Stienen. „Da braucht man schon eine gewisse Durchsetzungsstärke.“ Schließlich müssen alle Vorgesetzten am Ende des Tages hinter ihrer Entscheidung stehen und sie mittragen. Doch Christa Stienen war sich ihrer Sache sicher: Der Kandidat brachte genau das Profil mit, das sie für die Veränderungsaufgabe benötigte. „Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen im Personalwesen hatte er über die Jahre ein umfangreiches Fachwissen aufgebaut. In Kombination mit absoluter Zuverlässigkeit sowie großer Umsetzungsstärke erschien er mir genau der Richtige für diesen Job“, begründet Stienen ihre unorthodoxe Entscheidung. Ihrer Ansicht nach verfügen häufig gerade die Älteren über Potenziale, die von Unternehmen überhaupt noch nicht erkannt, geschweige denn genutzt werden.

„Nur selten wagen Personaler solche Entscheidungen und können diese am Ende auch durchfechten“, so die Erkenntnis der HR-Managerin. Sie selbst hingegen fand ihren Schritt einfach nur logisch und der Erfolg gab ihr Recht. „Unser Mitarbeiter setzt sein vielfältiges Wissen sehr gut ein und treibt die Dinge ganz anders voran, da er nicht im Unternehmen ‚gewachsen‘ ist“, weiß die BPM-Managerin. Ein Mitarbeiter in den 60ern – kein Risiko also? „Genau! Eher eine Chance für alle Beteiligten.“

Kreative Freigeister in industrialisierten Prozessen?

Kreative Freigeister und industrialisierte Prozesse? Diese vermeintlichen Gegenstücke haben bei Accenture Interactive, dem digitalen Marketing- und Commerce-Arm von Accenture, zueinander gefunden. „Die Idee war ein Geschäft zu bauen, das das Beste aus beiden Welten vereint“, so Marco Thelen, Leiter für den Geschäftsbereich Accenture Interactive Delivery DACH.

Konkret bedeutet das, innovative technologische Ansätze und moderne Liefermethodiken mit kreativem Service- und Produktdesign zu verheiraten, um Kunden bei ihrer digitalen Transformation zu begleiten. Dazu schauten sich Thelen und sein Team gezielt in der Agentur- und Start-up-Szene um. Man brauchte dringend Menschen mit explorativem Charakter, die sich zutrauen, gemeinsam Konzepte mit Kunden zu entwickeln und am Markt zu testen. Menschen, die den Stress aushalten, wenn solch ein Test negativ ausgeht, und genug Unternehmergeist und Kreativpotenzial mitbringen, um Neujustierungen vorzunehmen.

„Bei Accenture Interactive sitzen die Kundenansprechpartner allerdings hauptsächlich in den Fachbereichen. Hier ist ein extrem businessorientiertes Auftreten der Berater gefragt“, so Thelen. Das stellte Accenture Interactive bei der Ausgründung trotz definierter Zielkultur vor einige Herausforderungen: „Accenture wird meist für große, industrialisierte Projekte beauftragt, mit einem entsprechend umfangreichen Set an Controlling-Maßnahmen. Wir wollten nicht, dass unsere Mitarbeiter dadurch keine Luft zum Atmen haben.“ Denn genau die war für die agile Projektarbeit so wichtig. Accenture Interactive adressierte das Risiko. „Wir haben für die Kreativen dann Freiräume in einigen Standardprozessen eingebaut und Hierarchien abgeschafft“, beschreibt Thelen. Mit Erfolg: „Wir sind heute in der Lage, ein Kundensegment zu bedienen, für das wir in der Vergangenheit nicht die Kompetenz hatten“, resümiert der Geschäftsbereichsleiter, der diese Leistung maßgeblich auf die Digitalkompetenzen sowie den kreativen Mindset seiner neuen Mitarbeiter zurückführt.

Drei Fragen an Christa Stienen: Lebensläufe: zu viel Zickzack = zu wenig Zielstrebigkeit?

Christa Stienen, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM)
Christa Stienen, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM)

Gradlinig verlaufen Karrieren nur noch in der Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Denn Brüche im Lebenslauf sind heute kein Ausschlusskriterium mehr, erklärt Christa Stienen, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM), im Interview.

Wie geht man mit Brüchen im Lebenslauf um?

Meiner Ansicht nach sollte man sich heute generell nicht mehr ausschließlich an der lückenlosen Stringenz im Lebenslauf orientieren. Bevor man also viel zu viel Zeit für den fachlichen Perfect Match aufwendet, sollte man eher auf die Zwischentöne achten. Zum Beispiel: Wie kam es zu der Erwerbsbiographie des Kandidaten? Diese Informationen könnten dann beispielsweise Aufschluss darüber geben, wie gut jemand in die Firmenkultur passt.

Wie wichtig ist denn der Cultural Fit?

In jedem Fall wichtiger als der ein oder andere Bruch im Lebenslauf. Schließlich geht es heute mehr und mehr um die gute Zusammenarbeit in Teams. Da ist es wichtig zu verstehen, wie jemand an bestimmte Dinge herangeht.

Und worauf kommt es dabei im Assessment an?

Wenn es um die Beurteilung des richtigen Cultural Fit geht, macht es einen großen Unterschied, wer den Kandidaten in den jeweiligen Situationen beobachtet. Derjenige, der den Neuzugang einstellt und anschließend mit ihm arbeiten wird, sollte die Beobachter-Rolle einnehmen. Denn der weiß im Zweifel am besten, womit die Person im Team oder gegenüber dem Vorgesetzten umgehen lernen muss. Gerade in punkto Cultural Fit sollte diese Aufgabe nicht automatisch an den externen Berater delegiert werden.

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Silvia Hänig

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