Patente, Produkte und Piraten

Herr Birken, Herr Fegers, ist es immer sinnvoll, eine Innovation schützen zu lassen?
Lars Birken: Generell ja, denn es herrscht ein starker Wettbewerb. Allerdings sollte immer geprüft werden, ob der Wettbewerb die Innovation überhaupt erkennen kann. Wird dies mit nein beantwortet, kann man in Ausnahmefällen auf das Patent verzichten und auf Geheimhaltung setzen.
Fabian Fegers: Wichtig ist darüber hinaus, die Produkteigenschaften so im Patent zu verfassen, dass sie den von Nutzern und Nutzerinnen empfundenen Vorteil darstellen. Denn das ist der eigentliche Wert der Innovation.
Produktpiraterie gibt es aber trotz Patenten.
Birken: Dort, wo Produktpiraterie auftritt, wurde kein Patent-, Marken- oder Designschutz beantragt. Wer seine Innovation vernünftig durch ein gewerbliches Schutzrecht absichert, ist vor Produktpiraterie geschützt bzw. kann sich gegen sie wehren.
Wann kommen Sie idealerweise ins Spiel?
Birken: Ist die Innovation noch nicht zu einer realisierbaren Produktidee gereift, ist es oft noch zu früh. Dann besteht die Gefahr, das Patent am Produkt vorbeizuschreiben, denn oft ändert sich das Produkt noch. Zu spät ist es, wenn etwas über das Produkt vor der Patentanmeldung veröffentlicht wurde.
Fegers: Das trifft leider auch zu, wenn das Unternehmen selbst über das Produkt berichtet. Auch wenn es einem Zulieferunternehmen einen Prototyp schickt, zählt das als Veröffentlichung, falls keine Vertraulichkeit vereinbart ist.
In welchen Fällen sollte ein Patent freigegeben oder lizenziert werden?
Birken: Eine Freigabe ist eigentlich wirtschaftlich nicht sinnvoll. Eine lizenzierende Patentpolitik kann beispielsweise bei standardrelevanten Patenten* sinnvoll sein, da geht es dann nicht um die Freigabe, sondern eine kostenpflichtige Nutzungserlaubnis. Ein historisches Beispiel ist der Wettbewerb zwischen den Videosystemen VHS von JVC und Betamax von Sony in den frühen 1980er-Jahren. Sony betrieb eine rigide Patentpolitik für Betamax und vergab teure Lizenzen. JVC gab Lizenzen an den Patenten für ihr VHS-System zu niedrigeren Gebühren heraus. JVC wusste: Das System hat nur Erfolg, wenn viele es nutzen – und lag damit richtig.
Was kann man überhaupt zum Patent anmelden?
Birken: Grundsätzlich jede technische Innovation. Es gibt wenige Ausnahmen, wie chirurgische oder diagnostische Verfahren. Was viele nicht wissen: Man kann auch Software patentieren, beispielsweise eine Steuerungssoftware für einen Fertigungsablauf, eine Speicherverwaltung oder eine Datenübertragung.
Fegers: Wer vergisst, ein Patent anzumelden, läuft Gefahr, selbst ein Patent eines Unternehmens zu verletzen, das so klug war, sein Produkt schützen zu lassen.
Lassen sich auch eine Farbe oder ein Kulturgut patentieren?
Birken: Eine Farbe kann nur patentiert werden, wenn eine neuartige Stoffzusammensetzung dahintersteckt. Bei einem Kunstwerk, Buch oder Musikstück greift das Urheberrecht, das automatisch mit Vollendung des Werkes entsteht.
Fegers: Der Gesetzgeber hat verschiedene weitere Schutzrechte geschaffen, wie das Designschutzrecht oder das Markenrecht. Eine Farbe, wie das Magenta der Telekom, kann zwar nicht als Patent, aber als Marke angemeldet werden. Es gibt außerdem das relativ neue Geheimnisschutzgesetz, das einen patentähnlichen Schutz entfalten kann.

Patentanwalt Dr.-Ing. Lars Birken, Mitglied der Geschäftsführung der Patent- und Rechtsanwaltskanzlei Eisenführ Speiser, gehört laut Handelsblatt/Best Lawyers zu Deutschlands besten Anwälten 2022 im Bereich gewerblicher Rechtsschutz.

Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Fabian Fegers, Patentanwalt bei Eisenführ Speiser, wurde von Managing Intellectual Property (MIP) als „Rising Star 2020/2021“ ausgezeichnet.
*(Anm. d. Red.:) Patente, die für einen industriellen Standard angewendet werden müssen, ohne dessen Nutzung andere Unternehmen keinen Zugang zum Markt hätten.