Zukunft & Innovation

Was essen wir morgen?

Innovative Wiesbadener Dachfarm über dem REWE-Supermarkt
Kurze Transportwege, kurze Kühlkette, bessere CO2-Bilanz: Die Wiesbadener Dachfarm befindet sich direkt über dem Supermarkt. Foto: © REWE Group
Die wachsende Weltbevölkerung mit ausreichend und nachhaltig produzierten Lebensmitteln zu versorgen, ist eine Mammutaufgabe. Wie schaffen wir es, genug anzubauen und gleichzeitig den Boden zu schonen, CO2 und Wasser zu sparen und nicht zuletzt auch Menschen in Krisengebieten und auf der Flucht mit Nahrung zu versorgen? So unterschiedlich wie die Herausforderungen, so vielfältig sind die Lösungsansätze – wir stellen zwei preisgekrönte Innovationen vor.

Trocken, trockener, am trockensten – der Dürresommer 2022 hat es uns vor Augen geführt: Lebensmittel weiterhin wie bisher anzubauen, wird auch in unseren Breiten künftig immer schwieriger. Doch was essen wir dann morgen? Wie können wir gesunde Nahrung produzieren, am besten direkt vor unserer Haustür, ohne dafür Unmengen von Wasser, Ackerfläche, Dünger und Pestiziden zu verbrauchen? Nicolas Leschke hat da eine Idee. Mit seinem Unternehmen ECF Farmsystems entwickelt der Berliner landwirtschaftliche Betriebe der besonderen Art: Mitten in der Stadt werden dort Fisch und Kräuter produziert und im Idealfall direkt vor Ort vermarktet. Für dieses innovative Konzept der urbanen Lebensmittelproduktion wurde ECF 2021 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Unternehmen ausgezeichnet. Vier solcher Farmen hat das Unternehmen bereits eröffnet, die jüngste im vergangenen Jahr in Wiesbaden-Erbenheim.

Innovative ECF-Farm auf dem Dach von Rewe.
Der Deutschen liebstes Kraut: Rund 800.000 Basilikumpflanzen wachsen in dem Glashaus in Wiesbaden jedes Jahr heran. Foto: © REWE Group

Aquaponik: ressourceneffiziente Kombination aus Fischzucht und Pflanzenanbau

Hier thront auf dem Dach des örtlichen REWE-Marktes ein stattliches Glashaus. Rund 800.000 Basilikum-Pflanzen und 20.000 Buntbarsche wachsen dort jedes Jahr heran – damit wird der Supermarkt von der reinen Verkaufs- auch gleich zur Produktionsstätte, ohne dass zusätzlich Fläche verbraucht würde. Die Fischbecken werden unter anderem mit dem gesammelten Regenwasser aus der Zisterne des Marktes gespeist. Die Ausscheidungen der Fische wiederum dienen als Dünger für die Basilikumpflanzen. Diese Kombination aus Fischzucht und Pflanzenanbau wird als Aquaponik bezeichnet. Nach Angaben von ECF ist der Wasserverbrauch bei dem verwendeten Kreislaufsystem bis zu 90 Prozent geringer als bei der herkömmlichen Produktion.

Frischer Basilikum aus der Wiesbadener Dachfarm
Papiertüte statt Plastik: Das Basilikum aus der ECF-Farm wird in plastikfreier Verpackung verkauft. Foto: © REWE Group

Die Investitionskosten für die Dachfarm in Wiesbaden hat REWE getragen. ECF als Betreiberin zahlt Miete für die Nutzung des Glashauses. „Das ist ein Finanzierungsmodell wie in der klassischen Immobilienentwicklung. Das rechnet sich für beide Seiten“, sagt Nicolas Leschke und betont: „Wir von ECF sind sehr zufrieden, unser Cashflow in Wiesbaden war schon jetzt im ersten Jahr positiv.“ Geht es nach ihm, war die Dachfarm in Erbenheim nicht die letzte. „Ziel ist es, verschiedene Farmen für verschiedene Produkte zu haben, idealerweise in einer Stadt“, so der Unternehmer. Im ersten Schritt will er nun das Kräutersortiment erweitern. Weitere Produktkategorien sollen folgen.

Auch bei REWE hat man Gefallen am Green Farming gefunden: „In den nächsten vier Jahren wollen wir bei REWE bundesweit fünf bis sieben solcher Märkte mit Dachfarm errichten, bevorzugt in Metropolregionen“, sagt Peter Maly, Bereichsvorstand REWE Group im Interview für den Geschäftsbericht seines Unternehmens. „In zehn Jahren sollen es dann 30 bis 40 sein.“ Nicht zwangsläufig müsse die Kombination dann immer Basilikum trifft Barsch heißen. Auch andere Pflanzen ließen sich ressourceneffizient via Aquaponik anbauen: „Salate und Kräuter zum Beispiel. Oder auch Tomaten, Pilze und Auberginen“, so Peter Maly im Interview.

100 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht und von einer zuverlässigen Lebensmittelversorgung abgeschnitten

Gleichwohl setzen innovative Anbaukonzepte wie die gebäudeintegrierte Dachfarm in Wiesbaden ein Mindestmaß an Infrastruktur voraus, das nicht überall selbstverständlich ist: Über 100 Millionen Menschen weltweit sind aktuell auf der Flucht vor Kriegen, Naturkatastrophen und vor dem Klimawandel und damit abgeschnitten von einer zuverlässigen Lebensmittelversorgung. Viele der Flüchtenden haben zwar einen landwirtschaftlichen Hintergrund und wissen, wie man Feldfrüchte anbaut. Doch was ihnen fehlt, sind die Produktionsmittel, die Flächen und nicht zuletzt die Sicherheit. „Menschen auf der Flucht fragen sich natürlich: Werde ich das, was ich säe, überhaupt ernten können oder längst woanders sein?“, erklärt Florian Landorff, der bei der Deutschen Welthungerhilfe das Team Innovation leitet.

Wer innovativ sein will, muss auch akzeptieren, dass eine Neuerung den Praxistest eventuell nicht besteht

Eine Lösung könnte ein beweglicher vertikaler Garten sein, in dem auf wenig Fläche effizient Lebensmittel angebaut werden. Die Idee für solche „Mobile Gardens“ erhielt 2021 den Innovation Award der Welthungerhilfe. Teams in Bangladesch und im Sudan hatten parallel an ganz ähnlichen Ideen gearbeitet und dann gemeinsam einen Prototyp für einen mobilen Garten entwickelt: Das Grundgerüst bildet eine Art Schubkarre, hergestellt aus lokal verfügbaren Materialien. Darauf sind pyramiden­förmig bis zu sechs Pflanzebenen gebaut – diese vertikale Anordnung spart Platz. Als Pflanzgefäße dienen aufgeschnittene Plastikflaschen, die durch Schläuche miteinander verbunden sind. Tomaten und Zucchini, Okra, Salat und Karotten könnten auf diese Weise die Speisezettel der Menschen auf der Flucht bereichern, so Florian Landorff. Das Einsatzgebiet der Gärten sieht er weniger auf den Fluchtrouten direkt, sondern eher in den teils riesigen provisorischen Camps, wo Mangel- und Unterernährung ebenfalls ein allgegenwärtiges Problem sind. Genau dort werden die Erfindungen nun dem Praxistest unterzogen. Bis zu 20 der Gärten „to go“ werden in der nächsten Testphase an Menschen vor Ort in den großen Flüchtlingslagern in Cox’s Bazar (Bangladesch) und in Darfur (Sudan) ausgegeben und müssen dort ihre Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen. Hält das technische Vehikel, was es verspricht? Ist genügend Saatgut verfügbar? Und nicht zuletzt: Ist der Ertrag hoch genug, um wirtschaftlich zu produzieren? „Bei Innovationen ist Mut gefragt – und auch die Bereitschaft zu akzeptieren, dass etwas eventuell nicht funktioniert“, sagt Florian Landorff. „Entscheidend ist das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer.“

Besser anders essen

Vegetarische Bowl mit Hülsenfrüchten und Nüssen
Der Konsum von Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen müsste dafür etwa verdoppelt, der Verzehr von Fleisch und Zucker etwa halbiert werden. Foto: © Adobe Stock

Rund zehn Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben, so aktuelle Prognosen. Um sie alle satt zu bekommen, ohne gleichzeitig den Planeten zu zerstören, sind kluge Konzepte gefragt. Technische Innovation allein wird dafür nicht reichen – auch die Landwirtschaft und Ernährungsweise müssten sich ändern.

Beispiel Fleischkonsum: Zwar gibt es mit 1,5 Milliarden Hektar an Ackerfläche weltweit eigentlich genug Platz, um ausreichend Getreide und Gemüse für alle anzubauen. Allerdings nicht genug, um gleichzeitig die immer größere Lust auf Fleisch zu stillen. Warum? Weil Fleisch Land frisst: Ein Drittel aller Feldfrüchte landet im Futtertrog statt auf dem Teller. In Deutschland werden sogar 60 Prozent des geernteten Getreides an Tiere verfüttert. Verschwendung – denn von 100 Kalorien, die ein Tier in Form von Nutzpflanzen frisst, erhalten wir nur etwa ein Viertel der Kalorien als Fleisch zurück.

Mit der „Planetary Health Diet“ haben Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern einen Speiseplan entworfen, der alle Menschen gesund ernähren und den Planeten gleichzeitig vor Ausbeutung schützen könnte. Der Konsum von Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen müsste dafür etwa verdoppelt, der Verzehr von Fleisch und Zucker etwa halbiert werden. Gleichzeitig müsste die Lebensmittelproduktion verbessert werden – zum Beispiel durch den Anbau von trockenheitsresistenten Pflanzen und eine optimierte Bewässerung. Geeignete Anbaumethoden können die Bodenqualität verbessern. Außerdem müssten Lebensmittelabfälle reduziert werden. In ärmeren Ländern sind dafür zum Beispiel eine genauere Ernteplanung und verbesserte Lager- und Verarbeitungsmöglichkeiten nötig. In den Industrienationen ist die Information für Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig, damit sich beispielsweise die Einkaufsgewohnheiten ändern.

Fotogalerie Mobile Gardens

  • Prototyp der rollenden Gemüsefarm im Aufbau
    In Bangladesch entsteht ein Prototyp der rollenden Gemüsefarm, gleichzeitig wird die Idee auch im Sudan weiterentwickelt. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Das Bild zeigt, wie ein Schlauchsystem die Erde immer feucht hält.
    Ein Schlauchsystem sorgt dafür, dass die Erde immer feucht bleibt. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Aufgeschnittene Plastikflaschen dienen als Pflanzgefäße im mobilen vertikalen Garten.
    Innovation muss nicht zwingend High Tech bedeuten: Im mobilen vertikalen Garten dienen aufgeschnittene Plastikflaschen als Pflanzgefäße. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Schmaler, platzsparender und mobiler Garten für beengte Verhältnisse wie Flüchtlingscamps.
    Dank der schmalen, hohen Konstruktion findet der mobile Garten auch in den beengten Verhältnissen der Flüchtlingscamps einen Platz. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Das Bild zeigt einen mobilen vertikalen Garten im Rohingya-Camp Cox’s  Bazar in Bangladesch.
    Praxistest: Der mobile vertikale Garten im Rohingya-Camp Cox’s Bazar in Bangladesch. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Prototyp des mobilen vertikalen Gartens sudanesischer Bauart.
    Gleiches Prinzip andere Ausführung: Ein Prototyp des Mobilen Vertikalen Gartens sudanesischer Bauart. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Bewässerung des pyramidenförmigen mobilen Gartens.
    Der pyramidenförmige Aufbau spart Platz und erleichtert die Bewässerung. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Mit Kunststoffschläuchen verbundene Pflanzgefäße der mobilen Gartens im Sudan.
    Auch im Sudan sind die Pflanzgefäße über Kunststoffschläuche miteinander verbunden. Foto: © Welthungerhilfe WHH
  • Mitarbeiter der Welthungerhilfe testet die Beweglichkeit der Unterkonstruktion des mobilen Gartens.
    Ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe testet die Beweglichkeit der fahrbaren Unterkonstruktion. Foto: © Welthungerhilfe WHH

Nicole Pollakowsky

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