Weiterbildung in herausfordernden Zeiten

„Was haben Sie gelernt?“ Eine Frage nach den formalen Qualifikationen, die man hierzulande immer wieder stellt oder beantworten soll. Zu den Umbrüchen des digitalen Wandels gehört allerdings, dass sich Berufe nicht nur verändern, sondern zum Teil vollständig verschwinden. Viele aktuell stark nachgefragte Tätigkeitsprofile existierten bis vor anderthalb Jahrzehnten gar nicht und begannen erst in den vergangenen Jahren an Bedeutung zu gewinnen: DevOps Engineer, UX-Designer, AI-Experten u. v. m.
Die formale Ausbildung hat die, in diesen Berufen heute tätigen, Menschen in den wenigsten Fällen auf diese vorbereitet und es ist diskutabel, inwiefern eine Ausbildung – gleich ob akademisch oder beruflich – vollumfänglich auf eine Tätigkeit vorbereiten sollte. In jedem Fall tut Praxis Not: Erst durch die Verknüpfung von Ausbildung und praktischer Tätigkeit entwickelt sich Expertise. Die meisten wachsen aus einer Kombination aus Weiterbildung und praktischer Erfahrung in diese neuen Berufsfelder hinein.
Studien gehen davon aus, dass einerseits in Deutschland bis 2033 bis zu 42 Prozent der Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen könnten, andererseits aber global durch Automatisierung bis zu 155 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen könnten.
Think tasks, not jobs
Zu den Begleiterscheinungen der digitalen Transformation gehört, dass für die Arbeitnehmenden in hochspezialisierten und -qualifizierten Arbeitsmärkten wie Deutschland eine Fokussierung auf Fähigkeiten und Fertigkeiten sinnvoller ist, als eine auf Jobs. Durch moderne Technologien ist die Welt ständig in rasanter Veränderung, mit der Folge, dass auch Menschen immer mehr und immer schneller lernen. Die Sicherheit einer abgeschlossenen Bildung gerät dadurch bereits heute immer öfter ins Wanken.
Nur die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen dualer Ausbildungsgänge arbeiten in ihrem erlernten Beruf. Einerseits ist dies ein Indiz für die Flexibilität des Arbeitsmarktes und der Arbeitnehmenden, anderseits aber bereits ein Hinweis auf die sich stetig ändernden Anforderungen der Arbeitswelt. Die herkömmliche Bildungsbiographie eines durchschnittlichen Arbeitnehmenden aus Schule, Ausbildung/Studium und Berufseintritt wird Raum für Weiterbildungen finden müssen, die ein lebenslanges Lernen ermöglichen, Stichwort Employability.

Warum Weiterbildungen unabdingbar werden
Gerade mit dem Thema Weiterbildung tun sich viele Arbeitnehmende in Deutschland schwer. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) hat zusammen mit The Network, ein von StepStone mitbegründeter Zusammenschluss von Jobbörsen in 130 Ländern, im Jahr 2021 die Weiterbildungsbereitschaft weltweit untersucht. Insgesamt 208.000 Arbeitnehmende in 190 Nationen, darunter rund 9000 in Deutschland, wurden online über ihre berufliche Situation befragt. Neben den Corona-Folgen wurden auch die Effekte der zunehmenden Automatisierung auf den Arbeitsmärkten untersucht. „Die Studie hat gezeigt, dass Deutschland global bei der Bereitschaft zu Weiterbildung und Zusatzqualifizierung nicht gut abschneidet und sich am unteren Ende der Länderskala wiederfindet“, sagt Rainer Strack, Senior Partner bei BCG und Co-Autor der Studie.[1]
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung ist das ein ernstes Problem: für Arbeitnehmende, deren Fähigkeiten mitunter nicht mit der technischen Entwicklung Schritt halten, aber auch für die Unternehmen, die ohnehin unter dem Fachkräftemangel leiden. Bereits jetzt müssen diese hinsichtlich Standortentscheidungen und Kostenreduzierungen die Qualifikationen ihrer Workforce im Auge behalten. Der Hays Learning Mindset Report 2022 (hier zum Download verfügbar) hat aufgezeigt, dass sich viele Arbeitnehmende mehr Unterstützung in Form von Zeit und Geld von ihrem Unternehmen wünschen - ein klares Entwicklungsfeld für viele Unternehmen.
Ich persönlich rate Arbeitnehmenden mit Nachdruck dazu, sich laufend weiterzubilden und diese so zentrale Aufgabe nicht allein an den Arbeitgeber zu delegieren oder von ihm abhängig zu machen: Bilden Sie sich weiter, egal ob ihr Arbeitgeber das unterstützt oder nicht!
Lassen Sie mich Ihnen hilfreiche Wege aufzeigen, die weder sonderlich zeit- noch kostenintensiv sind:
- Auf Udacity finden Interessierte Kurse zu einer Vielzahl technischer und digitaler Themen: AI, VR/VR, Machine Learning, digitale Transformation, Coding, Cloud Technologie u. v. m.
- Die Plattformen Coursera und edX bieten kostenlose Kurse in allen gängigen Weltsprachen der renommiertesten Universitäten der Welt zu einer Vielzahl von Themen im Bereich Wirtschaft, Geisteswissenschaften und Technologie an. Eine kostenpflichtige Option kann bis zu Bachelor- und Masterabschlüssen führen.
- LinkedIn verfügt mit dem LinkedIn-Learning Angebot Weiterbildungsoptionen mit einer enormen Bandbreite an Hard- und Soft Skills an. Schon in der Basisversion von LinkedIn haben Arbeitnehmende Zugriff auf Kursinhalte.
- Viele kostenpflichtige Angebote haben indes den Vorteil, dass sie von Unternehmen hoch angesehen sind. Der Frage nach der Finanzierung, die immer wieder Weiterbildungspläne durchkreuzt, stehen eine Vielzahl von Förderungsmöglichkeiten entgegen: Bildungsurlaub (nicht in allen Bundesländern), Meister-Bafög, steuerliche Absetzbarkeit oder Stipendien (z.B. Arbeiterkind). Bedenken Sie auch: eine Investition ins Lernen bedeutet eine Investition in sich selbst und hat vielleicht die beste Rendite - denn die einzig echte Konstante in Ihrem Leben sind Sie selbst.

Eine Vielzahl an Weiterbildungsmöglichkeiten
Das Angebot an Fernstudiengängen entwickelt sich seit Jahren und ist seit Beginn der Corona-Pandemie noch viel stärker gestiegen.
- Institutionen wie die Fern-Universität in Hagen, die PFH Göttingen, die Euro-FH, FOM, Hamburger Fernhochschule u. v. m. ergänzen das Angebot der Präsenzstudiengänge an Universitäten und Fachhochschulen.
- Praktisch alle Business Schools bieten (kostenpflichtige) Weiterbildungsmöglichkeiten im Rahmen sogenannter „Executive Education“ Angebote an, die auf den neuesten Forschungsergebnissen beruhen und die oft von renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie ausgewiesenen Fachgrößen geleitet werden. Schauen Sie doch mal auf die Angebote z.B. der Harvard Business School Online, der Stanford University oder dem MIT. Im deutschsprachigen Raum bietet sich die Mannheim Business School, die Frankfurt School of Finance, ESMT, WHU oder auch die International University (IU) an, die übrigens auch nichtakademische Angebote bereithält und duale Bildungsabschlüsse und Aufstiegsfortbildungen auf ein Studium anrechnet.
- Die Industrie- und Handelskammern bieten eine Vielzahl von Weiterbildungen im nicht-akademischen Bereich an, z.B. Aufstiegsfortbildungen zum Techniker, Meister, Fachwirt oder Betriebswirt. Auch hier ist das Angebot regional unterschiedlich und umfasst nicht nur mehrmonatige oder -jährige Lehrgänge, sondern auch kurze, prägnante Workshops: www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/aus-und-weiterbildung/weiterbildung
Durch Lernen das Lebensgefühl steigern
Noch wichtiger ist allerdings eine ganz grundsätzliche Fähigkeit: Sich neues Wissen selbstständig und regelmäßig selbst anzueignen, also Lernen zu lernen. Neben der Arbeitsplatzsicherheit geht es dabei aber auch um eine der wichtigsten Motivationsfaktoren im Kontext Arbeit: Selbstwirksamkeit und Wellbeing. Menschen beiziehen einen guten Teil ihrer beruflichen (und damit auch persönlichen) Zufriedenheit aus dem Gefühl, erfolgreiche Ergebnisse als Folge ihrer eigenen Arbeit und ihrer Fähigkeiten zu erleben.
Neugier und ein offener Geist sind die besten und wichtigsten Voraussetzungen für dauerhaften (beruflichen) Erfolg. Einer der beliebtesten Kurse des Jahres 2022 auf Coursera war „Learning to learn“ (www.coursera.org/learn/learning-how-to-learn) – die Menschen verstehen intuitiv, dass zur Bereitschaft auch Lernen die Fähigkeit gehört.
Ein Kurs, der aber noch beliebter ist: „The Science of Well-being“ der Yale University. Lässt sich am Ende sogar Wohlbefinden lernen? Finden Sie es heraus:
Frohes Lernen!
[1] Vgl. Hoffmann, Maren: Die Krise produziert Quereinsteiger. Online im Internet, abgerufen am 10.01.2023: www.spiegel.de/karriere/corona-und-die-jobsicherheit-deutsche-sind-fortbildungsmuffel-a-f576215b-7f20-473c-a2da-b9bc0d75cdc5.